: Kerstin und Annelie fragen die Basis
Die grüne Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller und ihre Rechtsextremismus-Expertin Annelie Buntenbach informieren sich in Berlin-Kreuzberg bei Initiativen gegen rechte Gewalt und Opfer-Hilfsgruppen über deren Arbeit – und versprechen Millionen
von PHILIPP GESSLER
Ulli muss nicht zur Tür, um erst einmal, wie sonst oft, im Spion zu schauen, wer da rein will – der hohe Besuch findet die Tür des „Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin“ offen. Kerstin Müller und Annelie Buntenbach, die Chefin und die Rechtsextremismus-Expertin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, sind zu einem „Informationstreffen“ in den Kreuzberger Altbau gekommen. Die beiden Abgeordneten wollen sich informieren, wie das denn nun so ist mit dem Rechtsextremismus und seinen Opfern: ganz da unten, ganz weit da im Osten.
Wie selbstverständlich setzen sich Kerstin Müller im adretten grauen Kostüm und Buntenbach mit blauem Post-Sponti-Pullover samt blauem Schal an das Tischende. Kerstin – man duzt sich hier – übernimmt ungefragt die Gesprächsleitung: Man solle sich und seine Organisation doch erst einmal vorstellen, sagt die Fraktionsvorsitzende routiniert. Ihre Kollegin Annelie wirft mit dunkler Stimme ein, man würde es „spannend“ finden zu erfahren, wo Ansätze sein könnten für eine verstärkte Antifa-Arbeit vor Ort und wie „Politik“ da helfen könnte. Besuch an der Basis.
Ulli erzählt, dass das Pressearchiv dringend neue Räume braucht: „Wir platzen aus allen Nähten.“ Der Berliner Verfassungsschutz habe „jahrelang bei uns abgeschrieben“. Seine etwa sechs Mitarbeiter suchten Informationen über die Rechten seit 1991 ehrenamtlich aus allen möglichen Publikationen. Der Verein lebt von Spenden.
Gabi von der „Opferperspektive Potsdam“ berichtet, man gehe auf „Betroffene“ zu: auf Flüchtlinge und „nicht rechte Jugendliche“ – Opfer oft schon dadurch, dass sie nicht „mainstream rechts“ seien. Ihre Organisation kümmere sich, wenn nötig, um den Zahnersatz und die psychologische Therapie von Opfern. Was sie denn von „akzeptierender Jugendarbeit“ bei rechten Jugendlichen halte, fragt Kerstin. „Gar nichts“, sagt Gabi. Die Volksvertreterin nickt vehement: Sie sei bisher noch niemandem begegnet, der ihr gesagt habe, dass so etwas helfe. Ulli sagt, manchmal würden jetzt Skin-Bands bekämpft, die zuvor in Jugendclubs hätten proben dürfen: „grotesk“.
Kerstin betont, dass sie ja früher auch lange antirassistische Arbeit gemacht habe. Der „Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft“ müsse bekämpft werden. Alexandra von der „Anlaufstelle für Opfer rechtsextremistischer Gewalt“ in Cottbus erzählt, man unterstütze jetzt die städtische Skater-Szene, die auch Probleme mit den Neonazis habe. Knut-Sören berichtet von der Initiative „Noteingang“, die etwa 1.000 Läden angesprochen hat, die mit einem Aufkleber signalisieren sollten, dass sie von Rechten Gejagten Schutz geben wollten. Nur 200 waren dazu bereit.
Annelie hebt hervor, die Staatsknete im Kampf gegen den Rassismus müsse auch ankommen bei den Initiativen der Basis. Dazu brauche man keine neue Stiftung – die Grünenchefin Renate Künast und ihr Innenexperte Cem Özdemir hatten kürzlich die Gründung einer solchen Institution gegen rechte Gewalt und zur Stärkung der Zivilgesellschaft vorgeschlagen. Kerstin sagt, man wolle in den aktuellen Haushaltsberatungen der Koalition versuchen, eine zweistellige Millionensumme für den Antifa-Kampf zu bekommen. Die akzeptierende Jugendarbeit mit Rechten müsse man überdenken. Annelie hofft noch, „mit euch im Gespräch zu bleiben“. Und alles andere ist dann nicht mehr für Journalistenohren.
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