Der afrikanische JFK

„Weil wir Neger waren“: Nachdem letztes Jahr ein Buch die belgische Beteiligung an der Ermordung Lumumbas enthüllte, kommt jetzt ein Filmporträt von Raoul Peck über den kongolesischen Befreiungshelden in Belgien ins Kino

Vierzig Jahre nach seinem Tod wird Patrice Lumumba zum Kinohelden. Der erste Premierminister des unabhängigen Kongo, der nach wenigen Monaten Amtszeit ermordet wurde, ist Thema in dem neuen Film des haitianischen Regisseurs Raoul Peck, der in diesen Tagen in die belgischen Kinos kommt. „Lumumba“ folgt auf ein Buch des belgischen Soziologen Ludo de Witte über die Hintergründe der Ermordung des Politikers, das im letzten Jahr wegen seiner Enthüllungen über die führende Rolle der belgischen Kolonialmacht beim Tod des afrikanischen Befreiungshelden zu einer parlamentarischen Untersuchungskommission in Belgien geführt hat.

Dass der Film nach der Diskussion um das Buch startet, sei nur Zufall, behauptet Raoul Peck. „Ich arbeite seit zehn Jahren an dem Thema. Das Drehbuch gibt es seit fünf Jahren.“ Aber warum hat er dann einen Spielfilm gemacht und keinen Dokumentarfilm? „Ich lehne die Marginalisierung ab“, ist Pecks Antwort darauf. Das hindert den Haitianer nicht daran, sich als engagierten Künstler zu sehen, der Partei ergreift und mit seinem Film einem Märtyrer der Entkolonialisierung ein cineastisches Denkmal setzen will. „Es gibt genug Bilder von uns“, erklärt der schwarze Filmemacher, „aber man erteilt uns nicht das Wort.“

Das ambitionierte Ziel, mit Lumumba einen Kultfilm zu schaffen, der für die schwarze Weltbevölkerung ähnlich wichtig werden soll wie Oliver Stones Auseinandersetzung mit dem Kennedy-Attentat für die 60er-Generation der USA, führt allerdings zu einigen gewagten Interpretationen der historischen Tatsachen. So wird der Bruch zwischen Lumumba und seinem Armeechef Mobutu, der 1961 Lumumbas Mord mitorganisierte und von 1965 bis1997 das Land regierte, darauf zurückgeführt, dass Lumumba sich gegen Massaker der Mobutu-Soldaten in der Provinz Kasai ausgesprochen habe. So wird Lumumba im Film von realen Verbrechen freigesprochen, für die ihn seine Gegner durchaus mitverantwortlich erklärt haben. Peck verteidigt seine Interpretation der Geschichte damit, dass Lumumba ja wohl nicht selber der Armee den Befehl gab, im sezessionistischen Kasai Zivilisten bei lebendigem Leibe in Kirchen zu verbrennen. Aber es gibt genauso wenig Beweise dafür, dass der Befehl dafür direkt von Mobutu kam.

Peck idyllisiert Lumumba, nachdem die belgische und westliche Propaganda ihn seinerzeit verteufelte. Auch die Figur von Moïse Tschombé, dem von Belgien gestützten Sezessionistenführer der Provinz Katanga, wo Lumumba hingerichtet wurde, erscheint viel düsterer, als sie in zeitgenössischen Medien geschildert worden ist.

Die schauspielerischen Qualitäten des Films könnten dem Werk dennoch Erfolg bringen – und zwar nicht nur, weil es wenige Filme mit positiven schwarzen Helden gibt. Der Schauspieler Dieudonné Kabongo spielt einen hinreißenden Godefrois Munongo – Katangas Innenminister und Lumumbas hartnäckigster Feind.

Eriq Ebouaney wirkt als Lumumba völlig überzeugend, wenn er die berühmte Rede bei den Unabhängigkeitsfeiern wiedergibt, in der der neue kongolesische Premier vor den Augen des entsetzten belgischen Königs „die Ironien, die Beleidigungen, die Schläge, die wir morgens, mittags und abends erdulden mussten, weil wir Neger waren“, geißelt.

Die schicksalhafte Verschwörung der Exkolonialisten und ihrer lokalen Helfershelfer gegen den kongolesischen Helden wird anhand präzis dokumentierter Ereignisse rekonstruiert. Der Film bringt die unvergesslichen Szenen zum Leben, die Fotografen der Epoche bereits festgehalten haben: Lumumba als verhafteter Premier, gefesselt und von Mobutus Soldateska geschlagen. Peck enthüllt nicht, er zeigt einfach die Wahrheit.

FRANÇOIS MISSER