: That Same Old Peeling
Erst wird gefeiert, dann getötet, danach kommt nichts mehr: In Mary Harrons Verfilmung von „American Psycho“ sind die Exzesse künstlich
von HARALD FRICKE
Ein paar Tropfen, ein Strahl, eine zart hingegossene Spur. Rot auf weißem Grund. Dazu ein verspieltes Streichquartett von John Cale. Alles fließt, ob Blut oder Farbe – also Splatter oder hohe Kultur –, kann man nicht unterscheiden. Dann löst sich die Szene im Vorspann auf: Es ist bloß Erdbeersoße, die behutsam über einen Dessertteller geträufelt wird. Ein bisschen Jackson Pollock, ein bisschen Perversion der Nouvelle Cuisine und ein feiner Wink mit den Symbolen: Erst geht man schlemmen, die Morde kommen später.
Die Regisseurin Mary Harron liebt diese Art Stilisierungen, in denen ihr „American Psycho“ zwischen Parodie und Grausamkeit ironisch hin und her gleitet. Das ist der Trick hinter dem Film zum Buch von Bret Easton Ellis, das wegen der expliziten Beschreibung von Gewalt und Pornografie in Deutschland seit 1995 auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften steht.
Geld, Sex, Macht, Gewalt und über allem: der Wille zum Pop. Das sind die Bausteine, aus denen Ellis sich zumindest in den USA einen Bestseller konstruiert hat. Schließlich handelt der Roman vom Überfluss der turbobörsengeilen Achtzigerjahre und von der Leere, die hinter Bergen aus Zeichen, Reklamen, Moden und Markenartikeln durchschlägt. Der Glanz und Glitter zieht nach unten, oder wie es in Ellis’ Nachfolgebuch „Glamorama“ heißt: „Langsam gleiten wir die Oberfläche hinab.“
Tatsächlich ist der New Yorker Schriftsteller ein äußerst moralischer Mensch, der sich vor dem Wall-Street-Kapitalismus ekelt. Vermutlich hat er sich dabei selbst vom Film leiten lassen: Oliver Stones „Wall Street“ zeigte einen schmierigen Michael Douglas, der in seiner Gier nach Geld über Leichen geht, und spielte damit 43 Millionen Dollar ein. Aber dieser Wettkampf um die beste Aktie, der an der Wall Street doch mehr zählen dürfte als ein paar Börsianer-Exzesse nach Feierabend, taucht in „American Psycho“ gar nicht auf. Nur zu Anfang schlägt Bateman einen Widersacher mit der Axt tot, das muss als Auseinandersetzung mit dem Kapital genügen. Denn bei Ellis scheitern die Broker und Models nicht so sehr an der Konkurrenz, sondern weil sie den Widerspruch nicht aushalten können, im unentwegten Konsum immer von der Lust nach Steigerung, vom Appetit auf Neues getrieben zu sein und sich trotzdem nach der Haltbarkeit des Glücks, nach mehr Verbindlichkeit im Ich-Gefühl zu sehnen. In „American Psycho“ wünscht sich die Freundin von Patrick Bateman ein Baby, bekommt aber nur Prozac. Und Bateman denkt bei seinem Gesicht im Spiegel an eine schöne Maske, die mit entsprechend viel Peeling-Creme behandelt werden muss.
Der Umstand, dass „American Psycho“ von eingefrorenen Momenten des 80er-Jahre-Zeitgeists handelt, in denen das Leben seziert und im Wortsinn zerstückelt wird, hat Harron bei der Realisierung des Films enorm geholfen. In seiner kalten Detailfreude aus akribischer Recherche und paranoidem Weltbeschreibungswahn ist Ellis mit der Vorlage ja selbst schon der Drehbuchautor par excellence. Harron musste nur illustrieren, was Ellis an Material aufgelistet hat: So kann sie ohne große Änderung im Skript die Yuppie-Dialoge aus dem Original einfach in hübsch ausgestattete SoHo-Restaurants übertragen oder Bateman mit seinen Kollegen über exquisite Visitenkarten parlieren lassen. Doch der Sadismus fehlt: Wie soll man das minutiös abgefeierte Tagewerk eines Massenmörders visuell abbilden, der Frauen wie Vieh ausweidet?
All das zeigt Harron nicht, wohl auch weil Hollywood seine Filme lieber im Kino sieht als auf dem Index. Stattdessen arbeitet sich die frühere Punkfanzine- und BBC-Autorin an der Atmosphäre ab, in der Bateman seine Verbrechen begeht. Dann dampft es am Fischmarkt von Manhattan, und die Nutten sehen müde aus. Damit orientiert sie sich an ihrem eigenen Filmdebüt: Auch in „I shot Andy Warhol“ durfte man der langsam durchdrehenden Valerie Solanas im depressiven Alltag der „Factory“ zuschauen und nicht irgendwelchem Vernissagen-Glamour.
Die Distanz hat Harron beibehalten. „American Psycho“ ist vor allem eine Satire. Die schwatzhaften Broker, die öden Blondinen auf Lithium und Xanax, die Koksorgien auf Diskotoiletten oder die handwaffengroßen Handys – alles wirkt wie eine verspätete Teenie-Fantasie, die man längst zu den Schulterpolsterjacketts in den Wandschrank gehängt hat. Selbst als Bateman erstmals zum Beil greift und dabei über den Mainstream-Rocker Huey Lewis philosophiert, bleibt die Gewalt ein burleskes Spiel mit Regenmantel und Konservenblut. Dass die Übersteigerung nicht in kalauerhaften New-Wave-Lifestyle abdriftet, liegt vor allem an Christian Bale, der für die Rolle des Massenmörders den Zuschlag vor Leonardo DiCaprio bekam – auch weil Bale seinen Bateman sogar körperlich vollkommen verinnerlicht hat: Immerhin musste er sich für „American Psycho“ zu einer muskulösen Kampfmaschine hochtrainieren. Wenn Bale dann beim Sex erregt seinen Body im Spiegel betrachtet, weiß man, wozu Körper im Film gemacht sind: zum Gucken.
Dagegen ist der psychische Niedergang im Buch selbst schon von zig Ambivalenzen überlagert. Ellis ist dermaßen beschlagen, dass seine Gewaltfantasien unentwegt als Reflex auf filmische Vorbilder angelegt sind: Bateman ist eine durch und durch medial konstruierte Existenz – nicht Zeichen des Terrors, sondern Terror aus Zeichen, ganz Eighties eben.
An diesem Punkt hat Harron das Buch unterschätzt und sich auf dessen kameratechnische Übersetzbarkeit verlassen. Tatsächlich funktioniert „American Psycho“ ebenso gut ohne Bilder: Die endlose Aufzählung von Markenprodukten ist ein Stück narrative Konzeptkunst, der im Film auch noch dekorativ Gemälde von Josef Albers ins Ambiente gemischt wurden. Überhaupt verbannt Harron die unentwegte Wiederholung der Codes ins Dekor. So hängen im Flur Allan McCollums „schwarze Quadrate“, die er als Malewitsch-Zitat tausendfach kopiert hat. Weil sich aber Leben in „American Psycho“ gerade aus solchen kulturellen Instant-Images zusammensetzt, bleibt Harrons Vision sehr blass. Sie zeigt die Realität nicht als Kaleidoskop des Bösen, sondern als dessen Passstück. Erst wird gefeiert, dann getötet, danach kommt nichts mehr.
„American Psycho“. Regie: Mary Harron; mit Christian Bale, Willem Dafoe, Chloe Sevigny; USA 2000, 102 Min.
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