: Lautmaler im Rampenlicht
Kultursenator Christoph Stölzl las im Deutschen Theater aus Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ vor und empfing danach bei Butt, Buletten und Fleischwurst Berlins Kulturmob
von JÖRG SUNDERMEIER
Eine absurde Situation ergab sich am Mittwoch abend: Gerade noch hatte der Kultursenator den Intendanten der Berliner Theater eröffnet, dass es weitere dramatische Einschnitte im Etat geben werde, und jetzt eröffnete nämlicher Christoph Stölzl die Theatersaison des Deutschen Theaters mit einem eigenen „künstlerischen“ Auftritt. Denn Christoph Stölzl, so hieß es, würde ein Märchen vorlesen. Eingeladen hatte neben dem DT auch das Berlinradio 100,6.
So sah zumindest das Foyer aus wie ein Messesaal: Dank des eher schlechten Geschmacks des Berliner Parvenü-Radios wimmelte es von 100,6-Ständen und quirligen Hostessen. Und die waren beinahe so vielzählig, wie an diesem Abend überhaupt Besucherinnen und Besucher erschienen waren – die Reihen sahen entsprechend leer aus. Vorn wimmelte Georg Gafron eifrig herum. Wolf Siebenhaar glänzte. Dann kam der bald entlassene Thomas Langhoff auf die Bühne und führte in die Lesung des Etatkürzers ein. In seiner knappen Ansprache betonte Langhoff, dass er sich Witzchen („Senator erzählt Märchen“) verkneife, und meinte stattdessen, scheinbar ohne Ironie, dass er dem Herrn Stölzl nur wünschen könne, dessen ehrliches Interesse für Kultur möge ihm auch weiterhin erhalten bleiben.
Dann trat Christoph Stölzl ins Scheinwerferlicht. Wie man es von einem einerseits gewandten und andererseits stockkonservativem Kulturmenschen erwartet, hatte sich Stölzl auf seine Rolle sehr gut und sehr aufmerksam vorbereitet. Er saß an einem schmalen Tisch, vor sich zwei Mikros und das obligatorische Glas Wasser. Stölzl musste also die Bühne allein ausfüllen. Das gelang ihm nicht. Er las aus Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“, er las sehr bedächtig und ruhig, versuchte, was er las, durch Gesten zu unterstützen, und spitzte hie und da den Mund für eine sanfte Lautmalerei. Aber wie sehr er sich auch mühte, über den Eindruck, dass hier ein etwas müder Großvater angestrengt und leicht überfordert lese, konnte Stölzl nicht hinwegtäuschen. Der Herr hatte offensichtlich doch ein bisschen Lampenfieber.
Den Text hatte sich der Senator selbst ausgesucht, und die Fabel von der kämpferischen Gerda, die ihren Kai aus den Fängen der Königin (und damit aus dem Reich des Verstandes) errettet, war typisch für Stölzl. Wie die beiden Kinder soll ja auch der Mensch in Stölzls Weltsicht etwas herunterkommen vom hohen Ross der zynischen Vernunft und stattdessen sich fröhlich und unschuldig mit den Gegebenheiten arrangieren. So hat er das Deutsche Historische Museum geleitet, so hat er im Feuilleton der Welt zu wirken versucht und so übt er nun den Job des Kultursenators aus.
Der parteilose Konservative ist mit dem Zustand der Kultur hier ganz zufrieden. Aber was will man auch mehr: Ein Senator gibt sich weltmännisch, versichert auf der Bühne, deren Etat er beschränkt, zugleich qua Anwesenheit seine Solidarität, liest – für einen Privatier – ganz ordentlich, und macht hinterher noch das ätzende Prozedere um seine Lesung mit: den Empfang. Dort nämlich zeigte der losgelassene Berliner Kulturmob auf die ihm ganz eigene Weise, dass er sich für kein schlechtes Benehmen zu schade ist. Zu einer betont deutschen Küche, die auf Butt, Buletten und Fleischwurst basierte und bei der vornehmlich deutscher Wein gereicht wurde, ließen sie ihre Kulturalität und Schmockigkeit passieren, während sie Weingläser geschickt neben Büsten platzierten oder sich eine Wursthaut brutal aus den Zähnen holten.
Dazwischen hatte offensichtlich der Radiosender zwei Frauen gestellt, deren einzige Aufgabe es war, knallrote Haare zu zeigen. Und natürlich fehlte auch hier die 100,6-Messepappbude mit entsprechendem Promoteam nicht. Spätestens während des Empfangs klärte sich das, was Stölzls durchaus weltmännische Art des Auftretens für einen kleinen Augenblick zu überdecken schien: Berlin ist keine Kulturstadt. Und will auch keine sein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen