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Liebenswürdig am großen Erfolg vorbei

■ Der ganz große Durchbruch blieb dem Jazz-Percussionisten Carlinhos Goncalves zeitlebens verwehrt. Seit zwei Jahren hält sich der Brasilianer mit gelegentlichen Auftritten nun in Bremen über Wasser. Ein Porträt

Plötzlich begann dieser brasilianische Musiker einen alten deutschen Gassenhauer zu singen, den er vor 35 Jahren mal in Sao Paulo gespielt hatte. Er war selber ganz überrascht, dass er ihn noch kannte, und schloss mit dieser kleinen Gesangseinlage einen großen Bogen, der von seiner Arbeit als Schlagzeuger bei den unterschiedlichsten Gruppen in Brasilien (darunter auch einem Tanzorchester, das für die Deutschstämmigen aufspielte) in die kleine Mansardenwohnung im Ostertorviertel führt, in der Carlinhos Goncalves heute lebt. Ein brasilianischer Musiker in Bremen – das klingt nicht gerade nach einem Leben im Schlaraffenland. Und tatsächlich lebt Carlinhos Goncalves bescheiden, schlägt sich mit den Behörden herum (sein Visum muss jedes Jahr neu verlängert werden), spielt eher unregelmäßig in Clubs, macht ein paar Work-shops und unterhält auch mal eine italienische Hochzeitsgesellschaft mit seinem Soloprogramm.

Kein glamouröses Leben mit der Musik also, aber Carlinhos Goncalves wirkt zufrieden und scheint das Leben mit einer zugleich philosophischen und sehr südländischen Sanftmut zu bewältigen. Seinen ersten Schnee habe der jetzt 58-Jährige hier vor zwei Jahren gesehen, erzählte er mit leuchtenden Augen, und das Ostertorviertel erinnere ihn an San Francisco (dafür braucht es schon eine gehörige Portion an „positive thinking“).

Als Schlagzeuger und Percussionist spielte er lange in Sao Paulo, wurde dort aber nicht entdeckt und später weltberühmt wie sein Freund Airto Moreira, sondern schlug sich in verschiedenen Formationen durch und machte schließlich mit 38 Jahren dann doch den großen Schritt ins internationale Musikgeschäft. Durch persönliche Kontakte wurde er nach Australien eingeladen, wo er unter anderem mit dem Sänger Mark Murphy arbeitete. Nach acht Jahren „down under“ ging er nach Kalifornien, wo er einige Jahre arbeitete (u.a. mit dem Gitarristen Kenny Burrell), um dann 1993 nach Brasilien zurückzukehren, wo er merken musste, dass man nicht gerade auf einen musikalischen verlorenen Sohn wie ihn wartete. Viele junge, hungrige Musiker waren nachgewachsen, und Carlinhos Goncalves musste wieder ganz von vorne anfangen.

Er war und ist ein begnadeter Rhythmiker, spielt mit einer großen Intensität und Wandlungsfähigkeit. Warum hat er also keinen wirklich großen Erfolg gehabt? Wenn man ihn freundlich plaudernd auf seiner Couch sitzen sieht, bekommt man eine Ahnung davon: Der Mann ist einfach zu liebenswürdig. Mit Ellbogen wird er nie für seine Karriere gekämpft haben, „too much up and down“ ist jeweils seine Begründung dafür, warum er jeweils ein Land verließ, um es noch einmal in einem anderen zu versuchen.

Auch nach Bremen kam er durch einen persönlichen Kontakt, seltsamerweise war er bisher noch nie in Europa gewesen (ein Globetrotter ist er ganz bestimmt nicht), und so reiste er vor zweieinhalb Jahren in unsere Stadt, sah sich die hiesige Musikszene an und blieb.

Seit Anfang dieses Jahres hat er schließlich eine feste Bremer Gruppe (mit Jimmi Vidaurreta am Piano, Chris Fähre an den Congas, Paulo Pereira am Saxophon und David Jehn am Bass), mit der er ein Programm mit Latin & Soul Jazz spielt. Seit einiger Zeit ist er auch manchmal in Diskotheken zu finden, wo er zusammen mit DJs auftritt, die die Platten und Samples einspielen, zu denen er dann seine handgemachten Rhythmen liefert. Carlinhos Goncalves ist vielseitig, er versteht sich auch ausdrücklich nicht als brasilianischer Musiker, sondern als Musiker aus Brasilien. Der Jazz ist für ihn eine Weltsprache, und mit ihm als Kraft- und Sinnquelle kann er es sich wohl in fast jedem Land der Erde heimisch machen. Wenn man ihn heute trifft, hat man den Eindruck, einem zwar alles andere als geschäftstüchtigen, dafür aber beschwingten, in sich ruhenden und weisen Mann zu begegnen. Wilfried Hippen

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