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Kurt Weill mit Techno

Odyssee für zwei Solisten, Chor und eine Brücke auf Rädern: Im Hamburger Bahnhof wurde das Minimal-Art-Opernprojekt von Peter Gordon und dem Schriftkünstler Lawrence Weiner uraufgeführt

von BJÖRN GOTTSTEIN

Der Angstschweiß ist vorprogrammiert. Wenn sich ein Komponist aus dem klassischen Fach in die Sphäre der Popmusik vorwagt, lassen sich regelmäßig peinliche Momente anbiedernden und schlecht imitierten Hipstertums beobachten. Der 1951 in New York geborene Komponist Peter Gordon ist gegen diese Gefahr hinlänglich gefeit. Gordon hat den Pop seit jeher in sein musikalisches Konzept eingebunden und sich wiederholt der Produktionsästhetik der vermeintlich trivialeren Musik anvertraut.

So blieb der Angstschweiß schließlich auch aus, als Gordon ankündigte, die Musik zu seinem Opernprojekt „The Society Architect Ponders The Golden Gate Bridge oder: Wie sie kriegen, was sie nicht verdienen“ klinge wie Kurt Weill mit Techno. Im Gegenteil: Die in Aussicht gestellte exzentrische Mischung ließ auf einen qualitativ bedeutsamen ästhetischen Sprung hoffen. Leider musste man zur Uraufführung von „The Society Architect“ am Wochenende feststellen, dass der Komponist weder zu viel noch zu wenig versprochen hatte. Die Musik erschöpft sich vollends in dieser schlichten Formel: Weill mit Techno.

Vom Band kommen trockene, nervöse Rhythmen, die in ihren besten Momenten an Depeche Modes „Enjoy the Silence“ erinnern. Zwei Solisten plagen sich derweil mit Gesangslinien, die rezitativisch angelegt einem schlichten Sprachduktus folgen. Die Akteure irren dabei hilflos durch die leer stehende Halle des Hamburger Bahnhofs, die mit einem einzigen Requisit ausgestattet ist: einem die Hallenbögen spiegelndes Brückensegment.

Einen rechten Platz hat man für diese Konstruktion aber offenbar nicht gefunden. Ein zwölfköpfiger Frauenchor ist, so er nicht singt, damit beschäftigt, die beräderte Brücke von hinten nach vorne, von rechts nach links zu schieben. Nirgendwo scheint sie zu passen. Dass die Enden jeweils nichts miteinander verbinden, mag mit viel gutem Willen als schwache Metapher einer zur Kommunikation unfähigen Gesellschaft durchgehen.

Die Brücke soll aber auch daran erinnern, dass der Stoff der Oper auf einer wahren Begebenheit beruht. Der Konzeptkünstler Lawrence Weiner, der für das Libretto und die Ausstattung verantwortlich zeichnet, wurde auf der Golden Gate Bridge von einem betrunkenen Architekten angefahren. Im Gerichtssaal verhandelt ein reaktionärer Richter aber weniger das Verkehrsdelikt; er nötigt den Künstler stattdessen zur Rechtfertigung seines Daseins. Es geht um Kunst, die angesichts einer verständnisunwilligen Öffentlichkeit in Zugzwang gerät. Im Libretto schlägt sich dieser Ansatz schemenhaft nieder: Die Richterin (Joan La Barbara) bohrt; der Künstler (Jeffrey Reynolds) stammelt.

Insgesamt krankt „The Society Architect“ an mangelnder Verbindlichkeit. Gordons Musik überwindet den sperrigen Dualismus nicht, dem sie sich selbst ausgesetzt hat. Weiner lässt alle Fragen offen, in der Hoffnung, dass der Hörer seine Schlüsse schon ziehen werde. Natürlich ist die Figur des Richters böse, die des Künstlers gut; aber das kann die Quintessenz eines ernst zu nehmenden Opernprojektes kaum sein. Auch die Sänger scheitern letztlich: Reynolds singt kräftig, aber ohne Herz; La Barbara bleibt weit hinter ihren stimmlichen Fähigkeiten zurück. Das Publikum am Samstagabend quittierte die Aufführung jedenfalls mit verhaltenem Applaus und einigen Buhrufen.

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