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„Die sind doch alle behindert“

Der geistig behinderte Stefan Krumrey entzündete das olympische Feuer bei den Special Olympics im Velodrom

Nur 2.000 fluoreszierende Stäbe in allen Regenbogenfarben, die von jubelnden Sportlern in die Höhe gehalten werden, beleuchten am Mittwochabend das ausverkaufte Velodrom. Ganz vorn steht Stefan Krumrey. Mit seiner Fackel soll er die „Flame of Hope“, das olympische Feuer der Special Olympics, entzünden.

Wie ein kleiner Junge sieht der 25-Jährige aus, als er zum Höhepunkt der Musik die Fackel an die Feuerschale hält. Erst auf Zurufe merkt er, dass die Flamme noch nicht brennt. Beim zweiten mal klappt es dann. Krumrey winkt in die Menge, und sein verkniffener Mund zittert noch ein wenig mehr.

Am nächsten Tag sagen ihm viele, er hätte geweint. Davon weiß der Treptower allerdings nichts. „Das ist immer, als ob mir ein Zug durch den Kopf fährt, von einem Ohr zum andern“, erklärt Krumrey. Aber seine Freundin, die habe die ganze Zeit geheult und stolz darauf hingewiesen, dass das „mein Freund“ sei, der da gerade vor 4.000 Besuchern die nationale Olympiade für Menschen mit geistiger Behinderung eröffnet.

Sportliche Erfolge feierte der Schwimmer und Leichtathlet meist auf langen Strecken. 80 Medaillen bewahrt er zu Hause in einer Kiste auf – von den amerikanischen Special Olympics 1991, den Mittelmeerspielen 1993 und 1998 und anderen Wettkämpfen. „Manchmal spiele ich den feinen Max und werde zum Angeber“, sagt er selbstkritisch. „Doch wenn ich nicht gewinne, bin ich knietschig.“ Er nimmt seine am Donnerstag im 200-Meter-Kraulen gewonnene Medaille vom Tisch. Nur aus Bronze, sagt sein Gesicht.

Seit 10 Jahren trainiert Krumrey bei der SG Reha Berlin-Lichtenberg. „Zu DDR-Zeiten habe ich Sport in der Schule gehasst“, sagt er mit angwidertem Gesichtsausdruck. Doch jetzt ist Sport ist für ihn Ausgleich. Beim Laufen vergisst er die Behindertenwerkstätte in Neukölln, in der er jeden Tag sauber macht.

Schon Kleinigkeiten greifen den sensiblen jungen Mann sehr an. Ein Fussel auf dem Pulli des Gesprächspartners stört ihn, Kaffeeflecken auf der Tischplatte widern ihn an, und die tägliche S-Bahn-Fahrt nervt. „Die Leute dort sind doch alle behindert. Die trauen sich noch nicht mal, das Fenster aufzumachen“, sagt der Sportler. Einmal habe er sich so gestresst, dass er richtig krank geworden ist. Das Training wirke dagegen wie Medizin. „Manchmal ist es noch zu wenig.“ Sport ist für ihn Therapie und löst im persönlichen Umgang viele Spannungen. „Früher konnte ich noch nicht einmal fremden Menschen die Hand geben“, sagt der leicht autistisch Wirkende und fügt stolz hinzu, als würde er einen seiner Betreuer zitieren: „Ich habe mich entwickelt.“

So wünscht er es sich auch für die Special Olympics. Die werden seiner Meinung nach nur von „Eltern, Tanten und Omis“ beachtet. Vielleicht könnten durch eine breitere Aufmerksamkeit auch mehr Berührungen zwischen geistig behinderten und normal begabten Menschen stattfinden. Behindertensport als Integration von Menschen, die normalerweise in Fahrdiensten und Behindertenwerkstätten untertauchen oder untergetaucht werden. „Die meisten Leute wissen überhaupt nicht, was das heißt: geistig behindert“, weiß Krumrey. „Die sehen uns ja gar nicht.“ Und selbst wenn man ihnen begegnet, ist es fraglich, ob man sie erkennt. Geistig und emotional Behinderte brauchen weder einen Rollstuhl, noch haben sie Lähmungen, die auf ihre Behinderungen hinweisen.

Stefan Krumrey zum Beispiel wirkt allenfalls ein wenig geistesabwesend. Er hat Schwierigkeiten beim Rechnen und Schreiben, spricht Sätze manchmal nicht zu Ende und reagiert intensiv auf Stress. „Einmal hat einer zu mir gesagt: ‚Zeig doch mal, wo du behindert bist.‘ Da hab ich zu ihm gesagt: ‚Wenn du ein Jahr bei mir bist, kann ich dir das zeigen.‘ “ INGRID GEGNER

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