Steffen Heitmann, eine deutsche Zumutung

Helmut Kohl hat Steffen Heitmann auf dem Gewissen. Denn ohne Kohl wäre Heitmann nie über Sachsen hinaus bekannt geworden

BERLIN taz ■ Helmut Kohl ist an allem schuld.

Steffen Heitmann könnte diesen Satz sagen, ohne rot zu werden. Aus seinem Mund wäre das keine Ausrede, sondern ein ehrliches Geständnis. Ohne Kohl wäre gestern in Dresden ein 58-jähriger Justizminister zurückgetreten, den außerhalb von Sachsen keiner kennen würde. Ein Mann mit weichen Gesichtszügen, einer, der sich zu benehmen weiß und beim Händedruck einen Diener andeutet. Vielleicht wäre einigen aufgefallen, dass der Mann mit den kurz geschorenen Haaren, wenn er genussvoll an seiner Havanna zieht, ein bisschen wie Bertolt Brecht aussieht. Mehr aber auch nicht.

Weil Helmut Kohl 1993 jedoch auf die Idee kam, einen unverdächtigen Ostdeutschen zum Bundespräsidenten zu machen, trat gestern in Wahrheit nicht der sächsische Justizminister Steffen Heitmann zurück, sondern der Mann, der für Deutschland vor sieben Jahren eine Zumutung war. Das macht ihn bis heute interessant.

Heitmann wollte nie DDR-Bürger sein. Er fühlte sich als Dresdner. Von dem besonderen Dresdner Bildungsbürgertum ist er auch geprägt. Er verweigert den Wehrdienst in der NVA und studiert Theologie. Später wird er Pfarrer und arbeitet als Seelsorger der Evangelischen Studentengemeinde in Dresden. Anfang der 80er-Jahre schließt er eine kirchenjuristische Ausbildung mit den beiden juristischen Examen ab. Heitmann liebt E. T. A. Hoffmann und liest immer wieder gern Hermann Hesses „Siddhartha“.

Das Ende der DDR erlebt Heitmann als eine Befreiung. Im Herbst 1989 stößt er zur Bürgerbewegung, die er auch juristisch berät. Bei der Auflösung der Staatssicherheit in Dresden zählt er zu den wichtigsten Verhandlern der Reformer. 1990 leitet er die für den Entwurf einer sächsischen Landesverfassung verantwortliche Arbeitsgruppe. Ein paar Monate später macht Kurt Biedenkopf ihn zu seinem Justizminister. Erst 1991 tritt Heitmann in die CDU ein.

Friedrich Karl Fromme, Leitartikler der FAZ, der bis heute an seiner Heimatstadt Dresden hängt, darf als der eigentliche Entdecker von Heitmann gelten. Anfang der 90er-Jahre schrieb Fromme mehrere große Porträts, in denen er Heitmann als einen Mann pries, der sich nicht nur nie mit der SED eingelassen, sondern der auch einem geistigen Deutschland nachgelebt und nachgestrebt habe. Genau so eine Person hatte Helmut Kohl für seine Idee gesucht, einen Ostdeutschen zum Bundespräsidenten zu machen. Doch der unbekannte Kandidat von Kohls Gnaden entpuppte sich binnen weniger Wochen als die falsche Wahl. Heitmann, in der DDR „der Mann hinter der Gardine“, wie der Stern schrieb, überraschte das ganze Land mit stramm rechten Ansichten; ein knochenharter Konservativer, einer, der die Nation, die Familie und die Ordnung liebt. Er wäre ein Präsident für den deutschen Stammtisch, aber nicht für die republikanische Gesellschaft geworden. Die harsche Ablehnung, die Heitmann über Monate hinweg in der Öffentlichkeit erfuhr, verletzte ihn tief. Sie vergrößerte seine Distanz zum „bundesdeutschen System“, wie er es nennt. Viele seiner Aussagen klangen so, als wolle er sich den Spielregeln des politischen Betriebs nicht beugen und weiter provozieren. Er sieht sich dabei als einer, der dem Normalbürger eine Stimme geben will.

Heitmann hat die alten Verletzungen bis heute nicht verwunden. In seiner gestrigen Rücktrittserklärung merkte er an, er habe ähnliche Angriffe wie jetzt bereits 1993 erleben müssen. Helmut Kohl hat Steffen Heitmann also doch auf dem Gewissen. JENS KÖNIG