: Drehbuch Zweiter Weltkrieg
Nachdem die USA ihre letzten Kriege gewonnen haben, bleibt eigentlich nur noch die Schlacht gegen die Geschichte. In Jonathan Mostows Weltkriegsspektakel „U-571“ verfälscht Hollywood die britische Entschlüsselung der deutschen U-Boot-Codes zum rein amerikanischen Sieg
von FRIEDRICH KITTLER
1939. Seit 1. September ist Großbritannien nur bei Kohle autark. Ansonsten schmilzt die Kohle des Empire für Rohstoffe und Konsumgüter dahin. Eigene oder neutrale Schiffe schleppen Eisen und Kupfer, Orangen und Tee, um der braunen Flut über dem Kontinent so lange zu widerstehen, bis transatlantische Rettung naht. Nur schmelzen mittlerweile die Schiffe selber dahin. Mit U-Booten, deren Zahl von sechzig in die Hunderte schießt, torpediert die Kriegsmarine Britanniens militärischen und zivilen Nachschub. Gegengifte muss es einfach geben.
1940. Die ersten Hi-Fi-Platten der Mediengeschichte kommen – auf den Markt zwar nicht, aber doch zu Coastal-Command-Piloten, denen breitbandig aufgenommene Motorengeräusche britische U-Boote von feindlichen unterscheiden helfen. Umgekehrt ortet im Norwegen-Feldzug der deutsche B-Dienst ein Royal-Navy-Schlachtschiff ums andere: geknackter Funkverkehr als Schiffsverlust. Ein gewisser Alan Turing (28), seines Zeichens reiner Mathematiker aus Cambridge, übernimmt befehlsgemäß die Baracke 8 in Bletchley Park, halbwegs zwischen Cambridge und Oxford. Auftrag an Baracke 8: Algorithmen und Maschinen erfinden, die die maschinell verschlüsselten Funksignale deutscher U-Boote wieder entschlüsseln. Blitzkrieg und Electronic Warfare sind dasselbe. Jede Nachricht, die eine Maschine encodiert hat, kann eine andere Maschine decodieren – so in Kürze Turings Dissertation von 1936. Wehrmacht und Kriegsmarine dagegen setzen bis Kriegsende gegen jede bare Logik blindlings auf Enigma, ihre automatische Verschlüsselungsschreibmaschine.
1941. Die Royal Navy untersagt ihren Enterkommandos nach üblen Erfahrungen, aufgebrachte Feindschiffe wie seit unvordenklichen Zeiten zu plündern. Ende Februar fällt beim Angriff auf Krawler „Krebs“ der erste Brite im Codekrieg, aber auch die erste unzerstörte Enigma in Turings Hände. Im Mai dann das ungeplante Wunder: Die Royal Navy bringt das U-Boot U 110 unversehrt in ihre Gewalt, und weder Admiralität noch Bletchley Park sehen Gründe, 1941 nach weiteren Enigmas zu jagen. Zusammengelesen geben Codiermaschine und Codebuch so viele Geheimnisse preis, dass die Verlustrate deutscher U-Boote zur linearen Funktion von Turings Protocomputern wird.
1943. Die gewonnene U-Boot-Codeschlacht im Atlantik entscheidet den Krieg in Europa.
2000. Golfkrieg II, Kosovo, Irak – alles gewinnt die US Air Force (mehr oder minder). Der Navy bleiben nur noch Griffe nach fremden Federn. Hollywoods beflissene Federn liefern ein Auftragsepos, Grafik-Computerfarmen die kriegstechnischen Einzelheiten, blaues Mittelmeerwasser schließlich einen Friedensersatz für turmhohe Atlantikschlachtwellen. Das deutsche U-Boot U-571 – man beachte den gewaltigen Ausstoß von Werften, die nach einer freimütigen, aber wahren US-Kritik des gleichnamigen Films immerhin „Schiffe bauen können“ – ist in Jonathan Mostows Weltkriegsspektakel enigmabewehrt in See gestochen, das angloamerikanische Konvoisystem also in höchster Gefahr. Spät im Herbst 1941 (was im Krieg viel zu spät gewesen wäre) erniedrigt sich London auf der Leinwand zu einem frei erfundenen Hilfeschrei: Das Pentagon, kaum im Bau, soll codetechnisch helfen.
Ein Film als Griff nach fremdem Lorbeer. Während Turings britisches Forscherteam historisch längst über diversen Beuterätseln (lies: Enigmas) brütet, schlägt die reine Mathematik filmisch und fiktiv auch tumbe amerikanische Seebären in Bann. Mann nimmt mehr oder minder feuchten Abschied von Kriegshafenfrau, Mann wird Mann für Mann als Kraut verkleidet; ein ganzes US-Submarine samt Besatzung muss Meere von „rastlosem Wehrmachtgrau“ (Thomas Pynchon) in Farben der Kriegsmarine durchpflügen. Nur der Erste Offizier (Matthew McConaughey) ist nicht bei der Sache. Er strahlt zwar Mut und Sympathie wie sein deutscher Gegenspieler aus, hat aber an Bord – anders als „Kaleu“ – noch nicht das Wort. Erst beim Entern von U-571 fallen zugleich eine Enigma (mehr) und ein Submarine-Kapitän. Erster Offizier rückt zwangsweise nach – nur um vom ältesten Seehelden an Bord zu hören, dass U-Boote schon 1917 (nicht erst 2000, liebe FreundInnen von taz und „Kursk“) die Barentssee unsicher machten. „And he told us of his life / In the land of submarines.“ Daraus folgt, von Vater zu Sohn, eine filmentscheidende Lehre: Kommandierender Offizier wird nur, wer nicht bloß Feinde killt (wie Untergebene auch), sondern vorab die eigenen Leute. Was der Film „U-571“ genau 120 Minuten lang belegt und belegt.
Beute-U-571 mit US-Heldenmannschaft an Bord unterläuft feindliche U-Boote, Wasserbomben, Torpedos, Schiffsartillerien und schwere Zerstörer wie im Traum. (Wolle Gott, du und ich könnten das auch.) Aber jeweils so knapp, dass am meersalzigen Ende der kleinste und liebste von allen GIs im Torpedoschacht ertrinkt. Die Freie Welt ist frei, mehr Verluste nicht zu vermelden – außer selbstredend einer deutschen Atlantikflotte und besagtem Friendly-fire-Mut des Ersten Offiziers. Woraus noch der letzte Matrose begreift: Feindschreibmaschinen, scheinbar so unscheinbar, wiegen Totenheere auf. Hut ab vor Hollywoods wissenschaftlichen Beratern! „Jede Ähnlichkeit mit“ verleugnet schon der Vorspann.
1994. Das Pentagon diktiert allen Subsystemen zu Lande, Luft und See seine neue Militärdoktrin: Electronic Warfare ist out, Imformation Warfare in. Alan Turing (1912 – 1954) und seine Computer ziehen ein zweites Mal in den Krieg.
1943. Turings letzte Dienstschiffsreise nach Washington D. C. Britannien beginnt zu siegen und auszubluten. Ein Jahr später unterzeichnen UK und USA einen Geheimpakt namens UKUSA, dem noch Australien und Neuseeland beitreten: Alles britische Geheimwissen über Mathematik und Technik (digitale Codemaschinen also) ist immer auch schon amerikanisches Mitwissen gewesen. Wie wahr. Zwei Jahre später – und das British Empire ist nicht mehr. Weshalb Echelon, UKUSAs globales Abhörnetz, lässig den Kalten Krieg übersteht. Bisweilen legen dann Bundesregierungen stille Proteste ein.
1967. „I saw a film today, oh boy. The English army had just won the war.“ (John Lennon, „A Day In The Life“). Gerade eben, gerade noch.
„U-571“. Regie: Jonathan Mostow. Mit Matthew Mc Conaughey, Harvey Keitel, Jon Bon Jovi u. a. USA 2000, 120 Min.
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