: Feldblumen für den Dichter
Knödel und Sex im Frühnebel: In seinem Film „Abschied. Brechts letzter Sommer“ schildert Jan Schütte einen Tag aus dem Leben des alten Bertolt Brecht und erforscht die Gefühlswallungen von ihm und seinen Musen. Die Kunst und die Politik kommen dabei, versteht sich, nur am Rande vor
von CHRISTIANE KÜHL
Das Stichwort ist: „Was macht die Kunst?“ Gegeben hat es der Kerl im dunklen Anzug mit dem Hut tief im Gesicht. Man muss kein geübter Kinogänger sein, um zu wissen, dass der Mann lügt. Typen wie er interessieren sich nicht für die Kunst; unterwürfiger Wille zur Macht prädestiniert ihn zum politischen Handlanger. Heute ist er ins Brandenburgische hinaus gefahren, einen renitenten Philosophen zu verhaften, im Sommerhaus des Herrn Brecht. Unseres großen Heimatdichters, wie später ein FDJler ehrfurchtsvoll stammeln wird, um dann brav ein Gedicht des einst armen B.B. auf der Veranda vorzutragen. Was dem alten Mann eine Träne in die Augen treibt. Selbstverständlich ist da eine junge Frau zugegen, die sich der Gefühlswallung umgehend annimmt.
Kunst und Politik kommen in Jan Schüttes „Abschied. Brechts letzter Sommer“ leider nicht weit über Stichwortcharakter hinaus. Bedeutender scheint das Drama mit den Weibern. Mit Bildern eines Augusttages im Jahr 1956 wird das Endstadium dessen gezeigt, was John Fuegi 1994 ausführlich in seiner großen Brecht-Biografie mitteilte: dass der einflussreichste Dramatiker des 20. Jahrhunderts recht eigentlich kein großer Dramatiker war und Kommunist schon gar nicht, sondern bei Lichte besehen hauptberuflich Egoman.
Ein literarischer Zuhälter, der Liebhaberinnen wie Manuskriptseiten wechselte, ihr poetisches Talent jedoch gerne längerfristig abschöpfte. Unter alles, was gemeinsam geschaffen wurde, setzte er seinen Namen, und aller geschaffener Mehrwert, sei es Ruhm oder Tantiemen, ging an einen: Bertolt Brecht. Den verarmten Frauen blieb die zweifelhafte Ehre, wie Ruth Berlau sie formulierte: „Ich war die Hure eines Klassikers.“ Das Drehbuch zum Elend der Poetenliebe, ihrer Abhängigkeiten und anderer Feigheiten stammt von Klaus Pohl, selbst mit Sandra Weigel verheiratet und schon seit Jahren an einem filmischen Werk über Brecht arbeitend. Mit Jan Schütte entschied er, „Abschied“ auf zwölf Stunden in der sozialistischen Sommerfrische zu konzentrieren, weil „man da nicht Zeit erzählen muss, erst war das und dann war das“. Während sich also der Frühnebel über dem See von Buckow lichtet, springt Käthe Reichel (Jeannette Hain) leicht bekleidet durch den Garten, Feldblumen für den Dichter zu pflücken. Dieser (Josef Bierbichler, brummig mit Brille und Bleistift) arbeitet gerade hustend an der Lyrik, ließe sich aber nur zu gern von der jungen Schauspielerin in die Gartenlaube entführen. Dort jedoch – weia! – wartet Ruth Berlau mit Wodkaflasche, einen Kuss einzuklagen, den Brecht wiederum, wenn nicht der Reichel, nur Isot Kilian, seiner zweiten temporären Muse, geben mag. Dass Kilian es gerade mit ihrem Mann treibt, jenem soeben von der DDR als staatsfeindlich eingestuften Philosophen Wolfgang Harich, lädt Brecht ein zu verweilen: „Ich muss zuschauen. Worüber soll ich sonst schreiben.“
Helene Weigel, ihre Tochter Barbara und Elisabeth Hauptmann kümmern sich indes um die Küchenarbeit. So also ist es bei Dichters zu Hause. Der Poet verlangt nach Sex oder Shakespeare-Gesamtausgaben, junge Frauen sind neckisch, alte eifersüchtig, doch um der Kunst willen aufopfernd. Politik wird kurz bei Knödeln angeschnitten.
Dass Harich verhaftet werden soll, verschweigt Helene Weigel dem Ehemann seiner Gesundheit wegen. (Im Abspann wird mitgeteilt, dass Bertolt Brecht vier Tage später an Herzversagen stirbt und Wolfgang Harich zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wird.)
Jan Schütte, dem mit „Drachenfutter“ und „Winkelmanns Reisen“ wunderbare Filme über die liebenswertesten No-Names der Weltgeschichte gelangen, tritt mit „Abschied“ den Beweis an, dass ein Tag bei Brecht & Co. hingegen unerträglich und ziemlich zäh zu betrachten sein kann.
„Abschied. Brechts letzter Sommer“. Regie: Jan Schütte. Mit Josef Bierbichler, Monika Bleibtreu, Margit Rogall u. a. Deutschland 2000, 91 Min.
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