: Der Kontrapunkt aus dem Holz
■ Beim Musikfest: Das Flanders Recorder Quartet widmete sich in der Kirche Unser Lieben Frauen der Polyphonie für Blockflöte
Wer hätte gedacht, dass ein Konzert eines Blöckflöten-Quartetts die Kirche Unser Lieben Frauen bis auf den letzten Platz füllen kann, ein Konzert, das darüber hinaus noch so schön gespielt war, dass es erst mit drei Zugaben zu Ende war? Das Musikfest macht's möglich und dann natürlich die treffliche niederländische Truppe „Flanders Recorder Quartet“ um Han Tol, Professor an der hiesigen Hochschule für Musik.
Circa dreißig auserwählte Flöten aller Register von den besten Flötenbauern der Welt lagen zu Beginn auf weichen Wattedecken und warteten auf ihren Einsatz. Das Programm wirkte etwas erzwungen. Unter dem Titel „Die Kunst der Fuge“ sollte es um „fünf Jahrhunderte musikalische Faszination“ gehen. Da gab's dann Musik aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert von Heinrich Isaac, Antonio Cabezon, Tarquinio Merulo, Dario Cas-tello, Girolamo Frescobaldi. Das 18. Jahrhundert war nur durch Stücke aus Bachs „Kunst der Fuge“ vertreten, was nicht unbedingt typisch für das Jahrhundert ist. Das 19. gibt es gar nicht für die Blockflöte, und das oberschwache Stück von Piet Swerts (geb. 1960) konnte das 20. Jahrhundert nur mit viel Wohlwollen vertreten.
Sieht man einmal von dieser programmatischen Schieflage ab und gesteht zu, dass in einigen Stücken immer so etwas wie ein Kontrapunkt zu finden war, hat das Programm Spaß gemacht. Zumal die Kunst der vier Herren das Urteil von Ganassi aus dem 16. Jahrhundert belegte, einer Zeit, als die Blockflöte auf dem Höhepunkt ihrer Progressivität war: „Somit könnt Ihr sicher sein, dass die Flöte die Aufgabe hat, die menschliche Stimme mit all ihren Fähigkeiten nachzuahmen, denn sie vermag es“.
Insgesamt geriet das Konzert zu einem wunderbaren Beispiel, wie sich alte Musik eben wegen ihrer Sprachähnlichkeit am besten durch das alte Instrumentarium vermittelt: So in den beredten, kurzgliedrigen, verspielten Stücken von Cas-tello, in der pfiffigen Artikulation der „Battaglia“-Musik von Heinrich Isaac, in der flächigen Expressivität eines Frescobaldi. Das Canzon „La Lusignola“ von Tarquinio Merulo überraschte durch eine geradezu irre Fuge, atemberaubend gespielt von dem Quartett.
Bachs „Kunst der Fuge“, jenes bis heute geheimnisvolle Spätwerk, das der Komponist ohne Instrumentenangaben hinterließ, spielten Han Tol und Joris van Goethem, Bart Spanhove und Paul van Loey wunderbar klar strukturiert, ohne jede Verführung einer expressiven Überfrachtung.
Im abschließenden „Vater Unser“ (für Orgel) kam ein künstlicher Sub-Bass zum Einsatz, ein fast zwei Meter großes Instrument, das es damals gar nicht gab. Er erlaubt mit seiner waberigen Tiefe die Nachahmung orgelartiger Regis-traturen und Flächen. Das Stück „Three Gadgets“ aus dem Jahr 1999 des Belgiers Piet Swerts zeigte ein generelles Problem: Für kein historisches Instrument gibt es so viele zeitgenössische Kompositionen wie für die Blockflöte, man hat aber gleichzeitig den Eindruck, dass der Geschmack und die Urteilsfähigkeit vieler Spieler nahezu alles möglich machen.
Die dümmliche Tüfteligkeit dieses Stück war nur erträglich durch die gemeinsame Virtuosität des letzten Satzes. Mozarts türkischer Marsch auf vier Blockflöten? Unglaublich komisch, eine hinreißende Zugabe. Ute Schalz-Laurenze
Die nächsten Musikfest-Termine:4 x Mozart: 17.9. 11h, 18./20.9. 20h, Obere Rathaushalle mit András Schiff;17.9. 20h in der Glocke Eva Mei mit der Dt. Kammerphilharmonie unter Daniel Harding. Infos: 33 66 600. Karten: Tel.: 33 66 99 oder www.musikfest-bremen.de
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