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Der Ferne Osten Berlins

Stephan Maus’ Gangsta Rhapsodie „Alles Mafia!“ vermeidet das Reich von Mitte

Ein neues, ein weiteres Berlin-Buch. Muss mehr gesagt werden? Nun ja, dieses spielt zur Abwechslung einmal nicht im Reich von Mitte. Nein, von Berlin aus gesehen siedelt Stephan Maus „Alles Mafia!“ viel weiter östlich an, in Lichtenberg, Marzahn, Hohenschönhausen oder vielleicht Karlshorst. Und unter dem Aspekt einer globaleren Geografie zielt Maus dann gleich auf das Reich der Mitte. Wenn schon, denn schon. Maus spielt den Draufgänger, und das muss er auch tun, weil „Alles Mafia!“, wie der Untertitel sagt, „eine Gangsta Rhapsodie“ ist.

„Alles Mafia!“ ist also ein Gedicht in freien Rhythmen, und daher findet man wenig Erzählung in dem schmalen Band, aber umso mehr Sprache. Sprache auch bekannt als Slogan und Slang. Hier wird nicht gekleckert, hier wird geklotzt. Die Gangsta stellt die vietnamesische Zigarettenmafia, und die Rhapsodin, Rapperin, Rotznase ist Nina. Nina, Geld spielt keine Rolle. Nina, alles im grünen Bereich? Oder – doch da sind roten Warnleuchten schon längst angegangen – Nina, mein Ansatz ist lösungsorientiert. Nina also, Tochter eines deutschen Kreditberaters, verliebt sich in Thanh, Sohn eines Reisbauern. Was folgt, sind Gefühle, King-Size. Wie sie im Jargon eben jener Szene sagt, in der sie sich bewegt.

Und hier begegnet sie auch dem Nin?ja!, „nicht zu verwechseln mit Jean!nine?“ aus Lichtenberg. Der hässlichen Hackfresse: „Warum wohl sind ‚Nosferatu‘ und ‚Ostfrauen‘ einander Anagramme?“ Der Nin?ja! jedenfalls erweitert die Geschichte zum Dreieck. Er ist der Böse, der Gangsta, der Killer, der Nina und leider auch den Autor in Schwierigkeiten bringt. Denn nun steigert er den eh schon heftig aufgedrehten Gesang seiner Heldin zum Overkill. Ruhepausen, in denen Sätze wie „fahrplanmäßig transportierten Züge gelbe Lichtquader durch unsere Nächte“ gefallen, gibt es nicht mehr.

Schade, denn Stephan Maus hat in all seiner expressiven Verve ein Talent für Bilder. Wer in dieser Stadt verstünde nicht die Situation, wenn es heißt: „Berlin hatte sich in der Wetterküche auf den Azoren ein sonnengelbes Spiegelei braten lassen“?

Mit dem Nin?ja! beginnen die Kalauer, es taucht der FÜRST auf, und die wenigen Anhaltspunkte der Geschichte verschwinden vollends, bis von Nin?ja! und seinem Rivalen Thanh nur noch Kreidelinien auf dem blutüberströmten Asphalt bleiben. Wahrscheinlich muss man sie dem FÜRSTEN zurechnen. Doch da, immerhin für einen Moment, stellt sich Entsetzen ein. Auch das kann Stephan Maus.

Der Pate von „Alles Mafia!“ ist zweifellos Walter Serner, Dada-brotha, Liebhaber des polyphonen Samplings schon in den Zwanzigerjahren und Autor von Kriminalgeschichten ähnlichen Kalibers. Es ist also keine schlechte Kiste, aus der die letzte Lieferung des Berlin-Buch-Booms stammt. Sicher, sie ist nicht große, nur Gangsta Rhapsodie. Aber anstatt 30 Mark für einen amerikanischen Kinoabend im Mainstreamformat hinzulegen, würde ich lieber dieses Buch kaufen, zu Hause bleiben und lesen.

BRIGITTE WERNEBURG

Stephan Maus: „Alles Mafia! Eine Gangsta Rhapsodie“. Rowohlt Berlin 2000, 145 S., geb., 29,80 DM

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