Einen an der Backe

In der Regel geben sie nur E-Mail-Interviews, doch manchmal machen sie auch Ausnahmen:Die beiden Musiker von Artist Unknown lieben das Versteckspiel und den Elektropop der Achtziger

von ANDREAS HARTMANN

Zuerst wollte ihre Plattenfirma nicht so recht. „Artist Unknown geben eigentlich nur E-Mail-Interviews.“ Eigentlich. Das Stichwort zum Nachhaken. Und irgendwann kam dann doch noch der Bescheid: „Treffen mit Artist Unknown geht klar. Im ‚Schwarzen Raben‘.“ Erkennungszeichen für das konspirative Treffen: die taz vom Tag. unter den Arm geklemmt.

So sitzt man ihnen dann doch noch gegenüber, den Geheimniskrämern, den Identitäts- und Namenlosen. Beide ganz ohne Masken, ohne die sie niemals für ein Plattencover-Foto posieren und keine Bühne der Welt für einen Liveauftritt betreten würden. Plötzlich sind sie total nahbar, und man hätte sogar die Möglichkeit, sich einen eventuell vorhandenen Leberfleck auf dem Kinn für die Erstellung eines Fahndungsfotos zu merken. Und plötzlich wird auch klar: Die ganze Sache mit dem Artist-Unknown-Sein ist vor allem ein Riesenspaß.

Zumal es da noch ganz andere Kaliber gibt. Den Detroiter Techno-Act Drexciya zum Beispiel hat noch nie jemand zu Gesicht bekommen. Der zieht sein Konzept vom strategischen Unsichtbarsein noch viel konsequenter durch. Und die Residents stapfen schon seit gut dreißig Jahren mit ihren Augapfelmasken herum und veranlassten inzwischen unzählige Menschen, darüber zu munkeln, wer sich denn da nun im Innern der Augen versteckt. Wahrscheinlich würde sich niemand darüber wundern, wenn es hieße: George W. Bush und Michael Jackson sind Mitglieder der Residents.

Artist Unknown lieben den Spaß, den sie mit ihrer Verwirrstrategie haben. Das funktioniert bei ihnen wie bei Daft Punk. Masken aufsetzen für das Promo-Shooting, damit die Leute was zum Tuscheln haben. Den Bierernst überlassen sie anderen. Die Überschrift zu der Spaßguerilla-Taktik liefert der eine von Artist Unknown, der im folgenden A genannt werden möchte: „Die ganze Sache unterstreicht einfach nur unser unverkrampftes Verhältnis zu Pop.“ Und weiter: „Diese Versteckerei hat eine Spielkomponente, die wir gut finden. Es geht auch um die Frage: Wie lange spielen die Leute mit, und wer wird der erste Spielverderber sein?“

Dazu gehört auch, dass im Freundeskreis falsche Fährten über die Identität von Artist Unknown gelegt werden. Eines sollte bei dieser Schnitzeljagd, so A, jedoch immer klar sein: „Dass wir uns als Musikprojekt verstehen und nicht als Clownsgruppe.“ Für U hat die Maskierung einfach auch eine rein künstlerische und funktionale Komponente: „Unsere Idee ist es, bei unseren Liveauftritten Teil der Video- und Diaprojektionen zu werden. Unsere Köpfe werden zur Leinwand und verschwinden hinter den darauf projizierten Bildern. Außerdem sind die Masken auch praktisch. Einmal hatten wir in München einen Gig, und ich hatte tierische Zahnschmerzen und eine brutal dicke Backe. Nach Mitternacht lag ich immer noch im Bett und habe gejammert: ‚Nein, nein, ich kann heute nicht auftreten.‘ Bis mir einfiel, dass ich ja die Maske aufhaben und niemand meine dicke Backe sehen würde. Und so wurde der Auftritt richtig cool.“

Auch in ihrer Musik pendeln Artist Unknown irgendwo zwischen Ernst, Ironie und Witz. Sie greifen schon ziemlich tief in die Achtziger-Kiste. Was in ihrem Elektronik-Pop alles aufgetaut wird? A: „Depeche Mode eher nicht so. Dafür The Human League und das Tragische am Achtziger-Pop. Und auch die abseitigeren Sachen: Cabaret Voltaire, Palais Schaumburg, Der Plan.“ U: „Tuxedomoon, Chrome, Heaven 17.“ A: „Wir wollen dabei jedoch nie bloß eine Achtziger-Revival-Band sein. Unsere Festplatten im Hirn haben eben einfach so viel aus dieser Zeit gespeichert.“

Gut, die Achtziger sind derzeit schwer en vogue. Weil Techno keinen Innovationsschub mehr hinbekommt und der Track als Antithese zum Song niemanden mehr wirklich schockt, besinnt man sich derzeit darauf, dass es schon in den Achtzigern gute elektronische Musik gab. Nur nannte man diese damals nicht Elektronik, sondern Pop. Chicks On Speed, Dakar & Grinser, Antonelli Electr., die Reige der Achtziger-Forscher aus der Techno-Garde ist lang. DJ Hell hat sogar vor kurzem eine Compilation herausgebracht mit „No Tears“ von Tuxedomoon als besonderem Gimmick. Doch Artist Unknown wollen nach eigener Aussage nicht auf irgendeinen fahrenden Zug springen. Sondern mit ihren zitatreichen Rückgriffen wirkliches Bewusstsein für die damaligen Pioniertaten der New Wave und New Romantics wecken, die vor lauter Kraftwerk-Hype noch zu wenig gewürdigt wurden.

A: „Allein mit welchen Widrigkeiten die damals zu kämpfen hatten und wie die sich mit ihren Billiggeräten – die damals natürlich schweineteuer waren – herumschlagen mussten.“ U ergänzt: „Und erst die Studiokosten.“ A: „Wir wollen den Leuten mit unserer Musik sagen: ‚Geht doch mal in den Laden, kauft euch eine Soft-Cell-Platte, und schaut nicht immer nur nach vorn, sondern auch mal zurück.‘ “

In die Zukunft schauen dafür Artist Unknown. Ihre aktuelle Platte heißt „Future“. Was sagen soll: So wie wir, so klingt die Zukunft, wie sie es sich Anfang der Achtziger erträumt hatten. Am Ende des Interviews meint A noch: „Eigentlich müsstest du uns jetzt ja ein taz-Abo andrehen.“ Eigentlich. Nur: auf welchen Namen?

Artist Unknown – Future – (Disko B/Efa), Liveauftritt: Heute nacht ab0 Uhr im WMF, Ziegelstraße 23, Mitte