Britische Benzinkrise beutelt Blair

Das ist Tony Blair nicht gewohnt: Nach dem Benzinchaos der letzten Woche fällt die britische Labour-Regierung zum ersten Mal in einer Meinungsumfrage hinter die oppositionellen Konservativen zurück, Unternehmerführer schimpfen über „Chaos“

von RALF SOTSCHECK

Großbritanniens konservative Opposition ist bereit, die Regierung zu übernehmen. Das sagte Tory-Führer William Hague, nachdem seine Partei laut einer Meinungsumfrage vom Wochenende die Labour Party zum ersten Mal seit acht Jahren in der Wählergunst überflügelt hat. 38 Prozent würden den Konservativen ihre Stimme geben, wenn jetzt gewählt würde, ergab die Umfrage des Instituts MORI; Labour käme nur auf 36 Prozent. Vor zehn Tagen, als das Benzin noch floss, hatte Labour einen Vorsprung von zwölf Prozent. MORI-Direktor Bob Worcester sagte: „Blair hat nicht zugehört. Die öffentliche Meinung ist wie ein 800 Pfund schwerer Gorilla: Wenn du mit ihm sprichst, musst du höflich sein.“

Die breite Unterstützung für die Bauern und Spediteure, die Großbritannien mit ihrer Blockade der Ölraffinerien und Benzindepots vorige Woche fast zum Stillstand brachten, traf die Labour-Regierung völlig unvorbereitet. Zwar haben die Ölfirmen ihre Lieferungen seit dem Ende der Proteste am Donnerstag verdoppelt, doch gestern war noch immer ein Drittel der Tankstellen ohne Benzin. „Großbritannien hat nun den Ruf eines chaotischen Landes“, sagte Ruth Lea vom Industrieverband. Die Regierung habe auf die Krise „unglaublich langsam“ reagiert.

Die Tories versuchen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Bob Worcester sagte: „Wenn die Tories jemanden hätten, der die Leute mehr interessiert als Hague, wäre Labour in ernsten Schwierigkeiten.“ Während seine Partei in den vergangenen Tagen mehrere Prozentpunkte gutmachen konnte, steht Hague in der Beliebtheit mit nur 29 Prozent weiterhin deutlich hinter Premierminister Tony Blair. Das kann sich ändern, hofft er. Hague bezeichnete die Demonstranten als „gute, aufrechte Menschen“. Seine Regierung, so versprach er gestern, würde die Benzinsteuer senken und den Steuerfreibetrag für Ehepaare erhöhen. „Mein Schattenkabinett ist bereit“, sagte Hague.

Verteidigungsminister Geoff Hoon tat die Meinungsumfrage als vorübergehenden Rückschlag ab. „Es interessiert mich viel mehr, wie wir in einem Monat dastehen“, sagte er. „Wenn die Umfragen dann immer noch so schlecht für uns sind, haben wir allerdings ein Problem.“

Labour kann nicht darauf setzen, dass sich die Wogen bis dahin glätten. Die Demonstranten gaben der Regierung letzte Woche 60 Tage Zeit, die Benzinsteuer zu senken. Auf dem Labour-Parteitag nächste Woche in Brighton wird Blair bedeutende Investitionen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Verbrechensbekämpfung ankündigen. Wie die Regierung auf die Forderungen nach billigerem Benzin reagiert, steht noch nicht fest. Blair sagte lediglich, er lasse sich nicht erpressen: „Das stünde in krassem Widerspruch zu unserer Wirtschaftspolitik.“ Stattdessen bereitet die Regierung ein Gesetz vor, wonach die Ölfirmen künftig verpflichtet wären, für die reibungslose Lieferung von Benzin zu sorgen. Für Gas, Wasser und Strom gibt es ein solches Gesetz bereits.