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„Wir treten bei“

Mit dem sanften Druck einer Anzeigenkampagne will die Stiftungsinitiative zur Zwangsarbeiterentschädigung Unternehmen zum Beitritt bewegen

BERLIN taz ■ „Wir treten bei!“, steht aufmunternd über der Anzeige, mit der die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der Zwangsarbeiter um neue Mitglieder werben will. Wolfgang Gibowski, Sprecher der Stiftungsinitiative, zeigte sich gestern bei der Präsentation der Anzeige überzeugt, dass mit ihr die massive Firmenfront des „Wir bleiben fern!“- Schweigekartells aufzubrechen ist.

Dass dem ersten Brief der Initiative an alle deutschen Unternehmen so wenig Erfolg beschieden war, erklärt sich Gibowski mit der Ungezieltheit dieser Briefaktion. Viele der angeschriebenen Firmen seien Tochterunternehmen gewesen, also zu keiner Stellungnahme in Sachen Stiftungsinitiative befugt. Bei ebenso vielen sei der Brief in irgendeinem Vorzimmer hängen geblieben. Jetzt könne jeder Manager in seinem jeweiligen Leib- und Magenblatt nachlesen, wie man’s macht. Denn unter „Wir treten bei“ ist praktischerweise die Beitrittserklärung abgedruckt. Also so ähnlich wie bei den diversen taz-Kampagnen.

Vorsichtshalber haben die 18 Gründer der Initiative je eine Reihe von Telefonnummern beitrittsunwilliger Firmen unter sich aufgeteilt, um in den entsprechenden Vorstandsetagen fernmündlich vorstellig zu werden. An weitergehenden Druck wird aber seitens der Stiftungsinitiative nicht gedacht. Denn Anprangerung vertrüge sich nicht mit dem Prinzip der Freiwilligkeit. Und Boykottdrohungen wolle man erst recht nicht ausstoßen, schließlich wolle man nicht das gleiche Kampfmittel anwenden, dessen Opfer man in den USA zu werden drohte.

Über 4.025 Firmen sind beigetreten, jede Woche kommen ein paar Dutzend hinzu, aber noch fehlen 1,7 Milliarden Mark. Gibowski berichtete von der Schwierigkeit, Unternehmen in Familienbesitz zum Beitritt zu bewegen. Deren Eigentümer machten oft geltend, ihre Firma nach dem 2. Weltkrieg völlig neu aufgebaut zu haben, sodass sie aus der Arbeit der Zwangsarbeiter gar keinen Nutzen gezogen hätten. Bei Aktiengesellschaften hätte die Stiftungsinitiative einfacheres Spiel.

So ganz traute Gibowski dem Erfolg der Anzeigenkampagne doch nicht, denn er forderte erneut und nachdrücklich, dass jetzt privatisierte ehemalige Unternehmen der öffentlichen Hand dem Privatsektor zugerechnet würden. Die ehemaligen öffentlichen Versorgungsbetriebe könnten rund 70 Millionen beisteuern, die Sparkassen einen dreistelligen Millionenbetrag und die Telekom bis zu einer halben Milliarde. Finanzminister Eichel steht diesem Ansinnen ablehnend gegenüber. Gibowski ließ gestern durchblicken, dass man „nicht ewig sammeln kann“. Am Jahresende solle bilanziert und über weitere Schritte beraten werden. Am Mittwoch wird die deutsche Wirtschaft ihren Kandidaten für den Vorsitz des Kuratoriums der Bundesstiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter bestimmen. Die konstitutive Sitzung des Kuratoriums war verschoben worden, weil die Stiftungsinitiative bis jetzt keinen Vertreter bestimmen konnte. CHRISTIAN SEMLER

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