Zensur oder Missverständnis?

Eine psychiatriekritische Ausstellung musste im Fröbel-Pestalozzi-Haus nach wenigen Stunden abgebaut werden

„Wir fordern Sie auf, die Bildtafeln sofort abzuholen. Sollten Sie dem zuwiderhandeln, sehen wir uns gezwungen, die Polizei zu verständigen.“ Ein Fax mit dieser eindeutigen Aufforderung erhielt gestern Nachmittag der Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg von der Leitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses.

Doch es war nicht etwa Altmüll, den der Verband im pädagogischen Zentrum in Schöneberg hinterlassen hatte. Vielmehr handelte es sich um eine psychiatriekritische Wanderausstellung, die unter dem Titel „The Missing Link – Karl Bonhoeffer und der Weg in den medizinischen Genozid“ zuvor schon im Gebäude der Ärztekammer und im Fernsehturm am Alexanderplatz gezeigt wurde – ohne irgendwelche Beanstandungen.

Ursprünglich standen im Mittelpunkt der Ausstellung zwei Skulpturen, die der renommierte israelische Künstler Igael Tumarkin aus zwei Büsten von Karl Bonhoeffer, dem Gründer der Wittenauer Kliniken, gestaltet hatte, um auf dessen Rolle im Dritten Reich als Euthanasiearzt aufmerksam zu machen. Weil die Skulpturen auf bis heute ungeklärte Weise von Berlin nach Israel geschafft worden waren, wurden sie noch während der Ausstellungseröffnung in der Volksbühne Ende Mai von der Polizei beschlagnahmt (taz berichtete)

In der umgearbeiteten Ausstellung stehen neben Texten über die Hintergründe der Euthanasiemorde Fotos der Skulpturen im Mittelpunkt. Auch die Beschlagnahmeaktion selber wird mit Fotos und Presseartikeln in der Ausstellung dokumentiert, die jetzt im Pestalozzi-Fröbel-Haus für Kontroversen sorgt.

„Das neue Konzept und die genaue Verfahrensweise der Ausstellungspräsentation war mit unserem Haus nicht abgesprochen“, erklärte die Direktorin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Hebenstreit-Müller, gestern gegenüber der taz. Sie sei „völlig überrascht“ über die Aufstellung großer Tafeln im Treppenhaus gewesen. Ihr Haus sei aber keineswegs gegen die Ausstellung in ihrer ursprünglichen Konzeption, betonte sie.

René Talbot von Landesverband der Psychiatrieerfahrenen hingegen verweist darauf, dass alles genau mit dem Pestalozzi-Fröbel-Haus abgesprochen gewesen sei. Die Termine für die Ausstellung seien auch schon veröffentlicht worden. Den Grund für den erzwungenen Abbruch sieht Talbot im Besuch von Bundessozialministerin Christine Bergmann am Montag im pädagogischen Zentrum: „Wenn die Frau Ministerin Bergmann kommt, muss schnell noch eine Verbeugung vor der Staatsgewalt gemacht werden“, heißt es in einer vor dem Pestalozzi-Fröbel-Haus verteilten Erklärung.

Die Ausstellung „The Missing Link“ soll noch bis März nächsten Jahres unter anderem vor dem Ufa-Filmpalast, den Rathäusern Tempelhof und Mitte, im Constanze-Pressehaus sowie dem jüdischen Krankenhaus gezeigt werden. PETER NOWAK