: Der lange Kampf gegen die „moderne Sklaverei“
In diesem Jahr haben Westafrikas Regierungen endlich begonnen, in größerem Maße gegen den organisierten Kinderhandel vorzugehen
BERLIN taz ■ Die Fracht, die die Polizei in den zwei Lastwagen im Südosten Nigerias fand, war keine gewöhnliche. 150 Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren saßen auf den Fahrzeugen des Spediteurs Roger Chukwu, der daraufhin Ende August in der Handelsmetropole Lagos verhaftet wurde. Die Kinder waren ihren Familien im bitterarmen südostnigerianischen Bundesstaat Anambra abgekauft worden. In Lagos wollte Chukwu sie Großhändlern aus ganz Westafrika anbieten.
Nigerias Südosten an der Grenze zu Kamerun ist ein Zentrum des organisierten Kinderhandels, der in West- und Zentralafrika immer größere Ausmaße annimmt (siehe taz vom 1. 9. 99). Die nigerianische Zeitung Vanguard berichtete unlängst aus der Hafenstadt Calabar, 12-Jährige seien bereits für 5.000 Naira (100 Mark) zu haben – das entspricht einem Monatseinkommen im öffentlichen Dienst. In Nigerias großen Städten werden sie für den doppelten Preis gehandelt. Die Endabnehmer sind oft Plantagenbesitzer.
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO leben in Afrika etwa 30 Millionen Kinder unter 14 als Zwangsarbeiter – etwa jedes zehnte Kind in dieser Altersgruppe. Jahrelang kümmerte dieser Umstand afrikanische Regierungen nur wenig. Erst die Veröffentlichung detaillierter Untersuchungen durch das UN-Kinderhilfswerk Unicef und die Hilfsorganisation Terre des Hommes haben seit 1998 begonnen, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen. Der Grund: einzelne Staaten wurden an den Pranger gestellt. So gelten Togo, Benin, Burkina Faso und Mali in Westafrika als die wichtigsten Kinderexporteure, Elfenbeinküste, Gabun und Nigeria als Hauptimporteure von Kindern.
Im Februar dieses Jahres fand in Gabuns Hauptstadt Libreville erstmals eine afrikanische Regierungskonferenz zur Bekämpfung des organisierten Kinderhandels statt. Dabei wurden Dinge beschlossen, die eigentlich selbstverständlich sein müssten. Zum Beispiel, dass in jedem Land Kinderhandel strafbar sein muss oder dass die Rückführung aufgegriffener Sklavenkinder an ihre Familien nicht an Geldmangel scheitern darf. Nun müssen zwischenstaatliche Abkommen zur polizeilichen Zusammenarbeit und zur reibungslosen Repatriierung von Kindern erarbeitet werden.
Der wichtigste Schritt ist jedoch die regierungsamtliche Anerkennung des Kinderhandels als Problem. Noch im November 1999 hatte sich die damalige Regierung der Elfenbeinküste „erstaunt“ über einen Unicef-Bericht geäußert. Der enthüllte, dass 15.000 Kinder aus Mali unter sklavenähnlichen Bedingungen auf Plantagen in der Elfenbeinküste arbeiten.
Im Februar dieses Jahres gestand die seit dem Militärputsch in der Elfenbeinküste amtierende neue Regierung jedoch die Existenz dieser „modernen Form der Sklaverei“ ein. Wurden zwischen Januar und Oktober 1999 lediglich 71 malische Sklavenkinder aus der Elfenbeinküste befreit und repatriiert, waren es zwischen Januar und Mai 2000 bereits 171. Auch in Nigeria mehren sich seit dem Ende der Militärdiktatur 1999 Verhaftungen von Kinderhändlern und Massenbefreiungen von Sklavenkindern. Im August unterschrieb die neue Regierung ein Abkommen mit der ILO zum Kampf gegen Kinderarbeit. Mit US-Finanzhilfe sollen vorerst 3.000 Kinderarbeiter in die Gesellschaft reintegriert werden.
Doch schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten. Die Ausbreitung bewaffneter Konflikte in Westafrika begünstigt die Verschleppung Minderjähriger. Und je eifriger eine Regierung Kinderhandelsbanden aushebt, desto öfter werden Schlagzeilen über „moderne Sklaverei“ das Image ihres Landes prägen.
DOMINIC JOHNSON
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