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Wieso musste Raúl Ramos sterben?

Eine Firmengruppe scheffelte Millionen durch die Übernahme der Kfz-Register in mehreren Staaten Lateinamerikas. Als bekannt wurde, dass deren Chefs als ehemalige argentinische Folterknechte gesucht werden, gab es den ersten Toten

aus San Salvador TONI KEPPELER

Ist es möglich, dass ein Mann sich zunächst die Pulsadern durchtrennt und dann, schon verblutend, noch die Kraft besitzt, sich mit einem Messer eine Oberschenkel-Arterie zu öffnen und sich danach auch noch die Kehle durchzuschneiden? Die mexikanische Staatsanwaltschaft behauptet: ja.

Mit solchen Schnittwunden wurde die Leiche von Raúl Ramos, 45, Staatssekretär im mexikanischen Handelsministerium, am 7. September in einem Waldstück nahe der Hauptstadt gefunden. In seinem 300 Meter weiter geparkten Wagen fand die Polizei sechs Abschiedsbriefe. Sie waren in unterschiedlichen Handschriften geschrieben worden. Den ermittelnden Staatsanwalt Gerardo Sánchez irritiert dies nicht. Sein Urteil: „Es ist offensichtlich, dass es sich um einen Selbstmord handelt.“

Ramos ist eine Randfigur in einem Skandal, der derzeit Mexiko, Argentinien und El Salvador erregt und in den auch Bolivien, Paraguay und Uruguay verwickelt sind. Im Zentrum dieser Affäre steht der Argentinier Miguel Angel Cavallo, 48. Er ist Geschäftsführer und Großaktionär der Firma Talsud, die vor zwei Jahren in Mexiko die Ausschreibung zur Erstellung und Führung des Nationalen Fahrzeugregisters (Renave) gewonnen hatte. Ramos war als Staatssekretär für die Aufsicht über das privatisierte Register zuständig.

Am 24. August wurde Cavallo auf dem Flughafen von Cancún auf Grund eines internationalen Haftbefehls festgenommen. Der Vorwurf: Er soll in den Jahren 1976 bis 1981 einer der perfidestens Folterknechte der argentinischen Militärdiktatur gewesen sein. Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, der schon Pinochet in London hatte festsetzen lassen, will ihn wegen Folter und Mord vor Gericht stellen. Auch die Franzosen wollen Cavallo haben. Er soll in Argentinien mindestens 15 ihrer Staatsbürger massakriert haben. In dieser Woche kamen zwei Beamte nach Mexiko, um ihn zu vernehmen.

In Mexiko ließ sich Cavallo unter dem Vornamen Ricardo Miguel als erfolgreicher Geschäftsmann feiern. Und tatsächlich ist das Register ein Bombengeschäft: Talsud nimmt die Daten von Fahrzeugen und ihren Besitzern auf und stellt dafür Plastikkärtchen aus. Die Einschreibegebühr kostet gut 25 Mark. Bei rund 20 Millionen Fahrzeugen macht dies einen Umsatz von etwa 500 Millionen Mark – bei minimalem Kapitaleinsatz.

Talsud ist auf solche Datenbanken spezialisiert. Die Firma, von der Cavallo 33 Prozent der Aktien besitzt, führt Banken- und Polizeiregister in Bolivien, Paraguay und Uruguay und hat im argentinischen Mendoza die Ausschreibung zur Ausstellung von Führerscheinen gewonnen. Die Firma Sertracen, an der Talsud 48 Prozent der Anteile besitzt, führt in El Salvador das Führerschein- und das Fahrzeugregister und hat vor kurzem die Ausschreibung für die Führung des Waffenregisters gewonnen.

In diesem Firmen-Konglomerat ist Cavallo nicht der Einzige mit dunkler Vergangenheit. Mit im Boot sitzen die ehemaligen Folterknechte Jorge Radice, Francisco García und Jorge Acosta. Acosta war nach Auskunft von Opfern der Leiter des Folterzentrums in der Mechanikerschule der argentinischen Marine, in der bis zu 5.000 Menschen zu Tode gequält wurden. Gegen ihn läuft derzeit ein Prozess wegen Kindesraub. Vor der Einwanderungsbehörde in Mexiko hat er für Cavallo gebürgt.

Radice betrieb den Verkauf von Diebesgut aus den Häusern ermordeter Regimegegner. Damit sind schätzungsweise 180 Millionen Mark erlöst worden. Mit den dabei gestohlenen Autos soll ein geheimer Fahrzeugpark für schmutzige Militäroperationen aufgebaut worden sein.

Kaum war der Skandal aufgeflogen, wundern sich alle, wie der Staat derart sensible Daten in private Hände geben kann. Immerhin besitzt Talsud Name, Adresse, Foto und Unterschrift aller Autobesitzer Mexikos, dazu die Identifikationsnummern von Motor und Karosserie und alle Daten über Kauf und Verkauf. Der technokratische Präsident Ernesto Zedillo hatte sich für den Aufbau dieses Registers stark gemacht. Jetzt rief seine Partei dazu auf, die Einschreibung in die Datenbank zu boykottieren, obwohl dies mit hohen Geldbußen bedroht ist. Es sei „ein Risiko, solche Daten an Personen mit zweifelhafter Reputation weiterzugeben“. Um weiteres Unheil zu verhindern, wurde der Datenbestand des Registers vergangene Woche vorläufig unter staatliche Aufsicht genommen.

Auch in El Salvador verlangt die Opposition, dass die Ausstellung von Führerscheinen und Fahrzeugpapieren wieder in staatliche Hände kommt. Außer der dunklen Vergangenheit des Großaktionärs hat sie ein weiteres Argument gegen Sertracen: Die privatisierte Dienstleistung kostet den Verbraucher das Zweieinhalbfache dessen, was vorher der Staat verlangte. Die Privatisierung des Waffenregisters wurde in aller Stille erst einmal gestoppt.

Wie aber kam Cavallo an so viele Datenbanken? Die mexikanische Tageszeitung Milenio weiß von „Ermittlungen gegen Staatssekretär Ramos und mindestens drei seiner Mitarbeiter“. Es gebe Grund zu der Annahme, dass vor der Vergabe des Fahrzeugregisters Geld geflossen sei. Auch in El Salvador wird hinter vorgehaltener Hand über Korruption bei der Vergabe der Lizenz an Sertracen gesprochen.

Ungewöhnlich wäre das nicht. Es ist zumindest auffällig, dass bei Privatisierungen in Mexiko und in Zentralamerika neben internationalen Konzernen fast ausschließlich regierungsnahe nationale Unternehmer zum Zuge kamen. Und es ist auffällig, dass Sertracen sich in San Salvador um die Lizenz zum Aufstellen von Parkuhren bewarb und zum ersten Mal in diesem Land einen Wettbewerb verlor. Hauptstadtbürgermeister Hector Silva gilt als unbestechlich.

Bewiesen ist damit nichts. Doch die Vertuschung von Korruption könnte auch das Motiv für einen Mord sein. In Mexiko wäre das nicht ungewöhnlich.

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