: Suppe mit Rüben, Rüben mit Suppe
Sechs ehemalige NS-Zwangsarbeiter zu Gast in Fuhlsbüttel ■ Von Elke Spanner
Ein Jahr lang hat Theo Massuger in Fuhlsbüttel als Zwangsarbeiter geschuftet, und als er nach Holland zurückkam, galt er dort als Kollaborateur. Freiwillig sei er nach Deutschland gegangen, unterstellten ihm diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg in Holland erlebten, und verschlossen sich den Andeutungen der Zurückgekehrten über die Qualen, denen sie ausgesetzt waren. Jetzt ist der heute 76-Jährige zusammen mit fünf weiteren damaligen Zwangsarbeitern und deren Ehefrauen auf Einladung der Willi-Bredel-Gesellschaft in Hamburg.
Gelebt hat Massuger damals in einer Baracke im Wilhelm-Raabe-Weg in Fuhlsbüttel – der einzigen, die heute noch in Hamburg erhalten ist. Auch diese sollte abgerissen werden. 1997, als der Senat die S-Bahn-Anbindung des Flughafens plante, zeichnete er eine Baustelle ein, wo bis dato die Zwangsarbeiterbaracke stand. Der Willi-Bredel-Gesellschaft gelang es, den Abriss zu verhindern und die Baracke zu kaufen. Mangels öffentlicher Förderung konnte sie darin bisher allerdings nicht wie beabsichtigt eine Ausstellung zum Thema Zwangsarbeit eröffnen.
Massuger kam damals in der Tat nach Hamburg, nachdem die Nazis im besetzten Holland auf Flugblättern für den Arbeitseinsatz in Deutschland geworben hatten. Dass er sich dazu entschloss, lag aber allein daran, dass seiner Familie die Stammkarte weggenommen worden war, mit der sie Lebensmittel bekamen, und er als eines von zehn Kindern den Vater entlasten wollte. „Von freiwillig konnte keine Rede sein.“ In Hamburg arbeitete Massuger bei der Firma Röntgenmüller, heute „Philips Medizin Systeme“. Zunächst fühlte er sich dort freundlich empfangen, bis sich deutsche Arbeiter beklagten, „die Ausländer fressen uns das ganze Essen weg“. Seitdem durften die Holländer nicht mehr in die Werkskantine gehen, sondern wurden abends in der Baracke versorgt, „einen Tag gab es Steckrübensuppe, am nächsten Suppe mit Steckrüben, das hat nicht gereicht“.
Mindestens 64 Holländer mussten zwischen 1943 und 1945 bei Röntgenmüller deutsche Facharbeiter ersetzen, die auf die Schlachtfelder des Krieges geschickt worden waren. Die Bara-cken, in denen auch Männer aus Frankreich, Italien und Polen lebten, gehörten der Firma „Kowahl & Bruns“, die offiziell Garten- und Landschaftsbau betrieb.
Entschädigt wurde Massuger seither mit 50 Mark. Weiter erwartet er nichts. Auch nicht von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Die würde zunächst die damaligen OstarbeiterInnen entschädigen, was Massuger in Ordnung findet, „die hat es schlimmer getroffen“. Und außerdem „schieben die das Geld solange hin und her, bis wir alle tot sind“.
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