: „Nicht ernst genommen“
Auch mit Protest haben die Frauen nichts erreicht, meint Friederike von Borstel vom Frauenpolitischen Rat Brandenburg. Hoffnung setzt sie eher in die nächste Generation
taz: Eine Million Frauen im Osten haben in den letzten zehn Jahren ihren Arbeitsplatz verloren. Haben sie die Hoffung aufgegeben und sind Hausfrauen geworden?
Friederike von Borstel: Die großen Verliererinnen sind Frauen über 50, für die ist Hausfrau und Mutter sein natürlich auch keine Perspektive mehr. Aber auch die jungen Frauen wollen erwerbstätig sein. Die gehen deshalb schlicht in den Westen. Die Abwanderung von jungen Frauen ist wesentlich höher als von jungen Männern. Sie suchen sich also individuelle Nischen.
Nun werden im Osten gleichzeitig massiv Krippenplätze abgebaut. Stößt das auf Verständnis, weil Frauen in den ersten Erziehungsjahren eventuell sogar gerne auf Teilzeitarbeitsplätze ausweichen?
Bei den niedrigen Löhnen können Frauen sich im Osten keinen Teilzeitarbeitsplatz leisten. Aber Frauen nehmen verstärkt Erziehungsurlaub in Anspruch. Auch als wir in Brandenburg noch einen Rechtsanspruch auf Krippenbetreuung hatten, sind nur 10 Prozent der Kinder zwischen null und eins in einer Krippe gewesen. Erst danach steigen die Zahlen.
Die Ost-CDU scheint die Kinderbetreuung der Vergangenheit jedenfalls auch für falsch zu halten. In Brandenburg gibt es nun keinen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz mehr.
Die CDU-Fraktionsvorsitzende meint sogar, dass es die Mütter sein müssten, die die Kleinkinder betreuen, nicht die Väter. Das Schlimme ist, dass die Politik Protest nicht zur Kenntnis nimmt. Hier sind 152.000 Unterschriften für die Beibehaltung des Rechtsanspruchs gesammelt worden. Es gab große Demonstrationen, die wurden einfach lächerlich gemacht. Es hieß: Im Westen gibt es das auch nicht, dann können wir uns diesen Luxus im Osten auch nicht leisten.
Das widerspricht der erklärten Politik von Frauenministerin Christine Bergmann.
Daran sieht man, wie einflusslos eine Frauenministerin ist.
Bergmann möchte auch junge Frauen dazu animieren, eher besser bezahlte technische Berufe zu wählen. Aber die Studie zeigt den entgegengesetzten Trend: Frauen strömen in die typisch weiblichen Dienstleistungsberufe. Wie kommt’s?
Es ist ein klassischer Verdrängungswettbewerb. Da funktionieren die Männerbünde genauso wie im Westen. Und da Frauen in diesen Berufen fast nie in Führungspositionen aufsteigen konnten, können sie auch keine Frauen nachziehen. Übrigens arbeiten alle Ingenieurinnen, die ich kenne, jetzt in anderen Berufen und sagen, sie würden ihrer Tochter niemals empfehlen, in einen technischen Beruf zu gehen, weil sie dort negative Erfahrungen gemacht haben.
Es ist eine Bilanz der Rückschritte. Haben sich die Frauen im Osten zu wenig gewehrt?
Nein. Wenn sie an die Initiativen für die Fristenlösung beim Paragrafen 218 denken: Es gab viel Protest. Nur wurde er von der Politik systematisch ignoriert. Das ist die beste Art, wie man politisches Engagement kaputt machen kann, indem man es nämlich einfach überhaupt nicht ernst nimmt. Ändern wird sich wohl erst etwas, wenn genügend Frauen in Entscheidungspositionen sitzen. Erst dann können sie auf den Verteilungskampf wirklich Einfluss nehmen.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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