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Dokumentation„Nicht hinter jedem Busch lauert ein böser Mensch“

■ Radio-Bremen-Intendant Heinz Glässgen hat dem TV-Regionalmagazin „buten & binnen“ eine Rede zum 20. Geburtstag gehalten und damit zum Teil heftige Reaktionen provoziert. Wir dokumentieren den Wortlaut

Einige MitarbeiterInnen und RedakteurInnen von „buten & binnen“ (BuBi) sind derzeit nicht gut auf den Radio-Bremen-Intendanten Heinz Glässgen zu sprechen. Der äußere Anlass war die Feier zum 20-jährigen Jubiläum des TV-Regionalmagazins am vergangenen Freitagabend, an der geladene Gäste aus dem Sender, aus Politik und den Aufsichtsgremien wie dem Rundfunk- und Verwaltungsrat teilnahmen. Bevor er das Büfett eröffnete, hielt Glässgen eine Rede. Einige BuBi-MitarbeiterInnen – manche sagen: fast alle RedakteurInnen – verließen daraufhin das als Festsaal dienende Studio. Die Einschätzungen von außen stehenden Partygästen gehen weit auseinander. Die Kommentare reichen vom „traurigsten zwanzigsten Geburtstag meines Lebens“ bis zum genauen Gegenteil. Manche TeilnehmerInnen hörten aus der Rede ein Totengeläut für den Sender heraus, andere dagegen nahmen Aufbruchstimmung wahr.

Sowohl die Feier als auch solche Meinungsäußerungen haben denselben medienpolitischen Hintergrund: Nach der Kürzung des ARD-Finanzausgleichs durch die Länderministerpräsidenten muss Radio Bremen (RB) bis Ende 2005 etwa 50 Millionen Mark oder rund ein Drittel seines Etats einsparen oder anders erwirtschaften. Zurzeit konzentriert sich Glässgen nach eigenen Angaben auf die Umstrukturierungen der vier Radiowellen. Im Fernsehbereich seien bis Ende 2001 noch keine weitreichenden Veränderungen zu erwarten. Wir dokumentieren Glässgens Rede zum BuBi-Geburtstag in leicht gekürzter Form. ck

Bei einer ganz seriösen Feier käme jetzt die Festansprache von einem Medienwissenschaftler beispielsweise über den Stellenwert und die Bedeutung regionaler Programme im Fernsehen und im Wandel der Zeit unter besonderer Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher Verpflichtung und bremischer Tradition.

Wenn wir auf diesen Vortrag verzichten, betrachten Sie dies bitte nicht als Eingeständnis, die Feier sei nicht ernst gemeint oder buten un binnen sei nicht seriös. Werten Sie dieses vielmehr als Geschenk zum Wochenende für Sie und Ihre Lieben. Sie haben zudem – so hoffe ich – buten un binnen so lange ertragen, bestaunt, verflucht – auf jeden Fall gesehen, dass sich theoretische Überlegungen erübrigen. Meine Damen und Herren wir feiern uns selbst. Zwanzig Jahre buten un binnen. Und ich danke Ihnen, dass Sie hier sind und mit uns feiern ... Ich nehme Ihre Anwesenheit als Beweis, dass buten un binnen für Sie wichtig ist. Das wollen wir nämlich. Wir wollen, dass Sie buten un binnen bemerken, wahrnehmen.

Überm Strich haben Sie, viele von Ihnen, einige vielleicht sogar leibhaftige Erfahrungen mit buten un binnen, mit Zustimmung oder Ablehnung, Ärger, Verdruss, Wut, hoffentlich auch Freude, manchmal vielleicht auch Schadenfreude. Ich will gar nicht versuchen, dies alles aufzuarbeiten oder um Generalabsolution zu bitten, vor allem, weil ich hoffe und davon ausgehe, dass buten un binnen nicht immer Unrecht hatte. Und auch deshalb, weil ich Ihnen weder versprechen kann noch mag, dass buten un binnen künftig keinen Ärger mehr macht. Denn das liegt natürlich auch an Ihnen. Im besten Fall sagen wir ja nur weiter, was Sie tun oder lassen. Wir feiern uns selbst. Das könnte man als Pfeifen im Wald verstehen, um uns selber Mut zu machen. Wenn Sie das so sehen wollen.

Richtig ist: Wir kämpfen zurzeit um unsere Existenz. Und ich sage Ihnen: Wir werden diesen Kampf erfolgreich bestehen. Wir glauben an unsere Zukunft, weil wir uns, weil wir Radio Bremen in diesem Land für unverzichtbar halten. Und dafür tun wir einiges. Wir unternehmen große Anstrengungen, sehr schmerzhafte, um Mittel umzuschichten, einzusparen, neue Quellen zu erschließen, damit wir morgen noch Programme machen können ... Bitte verstehen Sie unsere Reformprozesse als Beweise unserer Vitalität. Radio Bremen hat sich zwangsläufig viel mit sich selber beschäftigen müssen. Dieser Prozess geht zu Ende. Wir melden uns jeden Tag ein Stück mehr zurück in die Zukunft.

Es folgen Danksagungen an Angehörige der RB-Aufsichtsgremien, an MitarbeiterInnen sowie an ZuschauerInnen.

Dass die Macher einer Sendung, die durchaus austeilt und dabei nicht immer zimperlich ist, selber manchmal etwas dünnhäutig und sensibel sind, wenn es um die eigenen Belange geht, mag vielleicht Außenstehende etwas überraschen. Insider weniger. Weil das so ist und ich das erst gestern wieder einmal vernommen habe: Ihr lieben buten un binnen Leute, sorgt Euch nicht zu sehr um Eure Zukunft. Ich habe schon so oft gesagt und sage es jetzt noch einmal, sozusagen zum Geburtstag: buten un binnen ist eine der wichtigsten Sendungen, vielleicht die wichtigste in unserem Fernsehen.

Wenn wir könnten, wie wir wollten, würden wir buten un binnen ausbauen, statt fünf Mal am besten sieben Mal Äpro WocheÜ. Doch in der Leitung des Hauses sind wir mindestens ebenso seriös wie Sie. Wir sagen nur etwas zu, wenn wir es genau recherchiert haben und wenn wir wissen, dass wir das machen können, was wir in Aussicht stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von buten un binnen, ich gehe davon aus, dass Sie sich zum Geburtstag Ziele und Vorsätze geschenkt haben. Ich würde Ihnen sehr beipflichten, wenn Sie sich vorgenommen hätten, noch unverzichtbarer zu werden. Wenn Sie beabsichtigen, noch mehr die Anliegen und Wünsche der Menschen zu sehen.

Bei aller berechtigten und notwendigen Kritik und Distanz und Vorsicht: Nicht hinter jedem Busch lauert ein böser Mensch, weder im privaten Leben noch im öffentlichen und auch nicht in der Politik.

Sie sind ein wichtiger Dienstleister in der öffentlichen Kommunikation in diesem Land. Sie müssen es bleiben, sympathisch, offen, frech, aber nicht nur, vor allem substanziell, treffend im Sinne von zutreffend, den Finger in der richtigen Wunde und das Herz am richtigen Fleck.

Alles Gute, gute Wünsche für eine bemerkenswerte Zukunft, Ihnen und mit Ihnen Radio Bremen und mit Radio Bremen den Menschen in diesem Land.

Heinz Glässgen

P.S.: Mitte November gibt es eine senderinterne Feier zum BuBi-Geburtstag. MitarbeiterInnen aus dem technischen Bereich hatten beklagt, am Freitagabend nicht eingeladen gewesen zu sein.

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