: Per Internet gegen Kapitalismus und Finanzelite
In Prag berichtet ein unabhängiges Medienzentrum über die Proteste gegen die IWF-Tagung. Und nutzt dabei vor allem die virtuellen Möglichkeiten
PRAG taz ■ Noch bevor die großen Nachrichtenagenturen am Sonntag etwas bemerkten, verbreitete das „Unabhängige Medienzentrum“ (IMC) in Prag die Nachricht per Internet: Italienische Anti-IWF-Aktivisten wurden von tschechischen Grenzern an der Einreise zu den Protesten gehindert. In Rom kam es daraufhin zu einem spontanen Protest vor der tschechischen Botschaft, in Prag zogen hundert Aktivisten kurzentschlossen vors Innenministerium. Auch darüber berichtete das IMC.
„Die meisten Aktivisten kennen und vertrauen uns. Deshalb erfahren wir solche Nachrichten als erste“, sagt IMC-Mitarbeiter Alex Neiwirth, der Sprecher der realen Anlaufstelle des virtuellen Zentrums. Das mit Einsatzplänen verschiedener Medienteams voll gehängte Büro in einem Hinterhof ist keine tausend Meter vom Kongresszentrum entfernt, in dem die Finanzelite ihre Jahrestagung abhält. Das IMC mit seiner Webseite prague.indymedia.org gibt es erst wenige Wochen. Am Montag zählte es 200 Mitstreiter aus rund 20 Staaten. Wie der amerikanische IMC-Aktivist Neiwirth kommt auch die Idee des unabhängigen Medienzentrums aus Seattle. Dort hatten die Gegner der Welthandelsorganisation Ende 1999 das Internet in ihre mediale Plattform verwandelt. „In den USA gibt es nur sehr kommerzielle Medien, die bestimmte Nachrichten unterdrücken. Deshalb hat sich das Internet zu einer preiswerten Form der Gegenöffentlichkeit entwickelt“, sagt Alan Minsky vom unabhängigen Medienzentrum in Los Angeles. Er unterstützte bereits im April seine Kollegen in Washington bei der Berichterstattung über die dortigen Anti-IWF-Proteste. Seit Freitag arbeitet er beim Prager IMC mit. Von Kanada bis Mexiko und von Australien bis Belgien sind inzwischen zwei Dutzend solcher unabhängigen Internetagenturen entstanden. Sie funktionieren alle nach dem gleichen Prinzip: „Jeder kann jederzeit auf der Website von einem mit dem Internet verbundenen Computer etwas publizieren“, wird auf der Homepage des Prager IMC erklärt. Jeder Aktivist ist also sein eigener Journalist. Und dieselbst veröffentlichten Artikel können andere sofort kommentieren und ergänzen. Das ist nicht nur basisdemokratisch, sondern auch zumindest eine gewisse Sicherung dagegen, dass die Amateurjournalisten Dummheiten verbreiten. Dann gibt es nämlich sofort entsprechende Bemerkungen.
Das IMC veröffentlicht Fotos und Videosequenzen von den jüngsten Protesten, Audiointerviews mit Szeneprominenten und schriftliche Nachrichten und Berichte. In dieser Aktionswoche gibt es dazu noch eine fast täglich erscheinende Zeitung namens Kontrast mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Sie wendet sich auf drei tschechischen und einer englischen Seite an die Prager Bevölkerung. Beim Zeitungsteam ist der Anteil der Einheimischen am größten. Aber „insgesamt kommen 90 Prozent unserer Mitstreiter aus dem Ausland. Wir haben das Konzept unabhängiger Medienzentren einfach importiert, ohne vorher zu schauen, was es hier gibt“, räumt Neiwirth selbstkritisch ein. So seien nicht nur die meisten Artikel auf Englisch, sondern die IMC-Aktivisten hätten sich auch gar nicht mit den Polzisten verständigen können, die am Montag plötzlich alle Besucher der Anlaufstelle kontrollieren wollten. Denn zunächst war überhaupt kein Tschechisch sprechender Medienaktivist anwesend.
Ob das Konzept des IMC in Prag wirklich Wurzeln geschlagen hat, wird sich erst nach dem Kongress zeigen. SVEN HANSEN
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