: Nein oder nicht nein
aus Kopenhagen REINHARD WOLFF
Beim Kleingartenverein „Ved Pilegården“ genießen die SchrebergärtnerInnen bei Bier, Grillwurst und Abendsonnenschein die vielleicht letzten schönen Spätsommertage dieses Jahres. Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen hat sich an diesem Abend die Kleingärten vor den Toren Kopenhagens als Ziel seiner Wahlkampftour ausgesucht. Hier ist man auch politisch unter sich, fast alle bezeichnen sich als Sozialdemokraten.
Nyrup Rasmussen zeigt sich offensiv: „Nur mit einer gemeinsamen Währung kann die EU die Führerrolle eines Kämpfers für soziale und menschliche Werte in der globalen Arena einnehmen. Die EU kann nur geschlossen der Macht der multinationalen Konzerne etwas entgegensetzen und als Garant für ein europäisches Wohlfahrtssystem stehen.“ Und er gibt sich siegessicher: Das Ende der in Dänemark vorwiegend als Ausdruck der EU-Arroganz verstandenen Sanktionen gegen Österreich könnte den notwendigen Schwung über die Abstimmungshürde gebracht haben.
Aber auch hier zwischen den Schrebergärten werden keine Katastrophengemälde für den Fall eines Neins ausgemalt. Dafür ist der Ja-Kampagne allerdings auch vom „Rat der Weisen“, einem Beratergremium der Regierung, der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Die waren nämlich zum Ergebnis gekommen, dass die ökonomischen Folgen einer dänischen Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion minimal seien. Sie sahen auch keine Vorteile darin, die jetzige „Gemeinschaft“ mit Großbritannien und Schweden, die als EU-Mitglieder außerhalb der Euro-Zone stehen, zu verlassen.
„Nein“ links wie rechts
Nachdem die „Weisen“ für solch eigenständiges Denken erst regierungsamtliche Ohrfeigen einkassierten – Originalton Nyrup Rasmussen: „Man kann seinem Land keinen schlechteren Dienst tun, als solche Unsicherheit zu schaffen“,– stellte man eine politische Argumentation ins Zentrum der Ja-Kampagne, die von allen politischen Parteien – mit Ausnahme von rechts und links außen –, den Gewerkschaften und der Wirtschaft getragen wird.
Schon jetzt ist ja die dänische Krone fest an den Euro gekoppelt. Ein Euro kostet 7,5 Kronen – Anfang 1999 wurde die Schwankungsbreite auf höchstens 2,25 Prozent nach oben und unten festgelegt. Insofern ist also die „Nej“-Kampagne nicht nachvollziehbar. Es geht um mehr als die Münze mit dem runden Loch in der Mitte.
Das „Nein“ propagieren die rechtspopulistische „Dänische Volkspartei“ genauso wie die linke „Sozialistische Volkspartei“ (SF) und die „Junibewegung“. Eine Nachbarschaft von links und rechts, welche propagandistisch vom Ministerpräsidenten auch bei den KleingärtnerInnen vom „Pilegården“ weitlich ausgenutzt wird: „Es ist bedrückend, zu sehen, wie die Linke mit ihrem Internationalismus hier dieselbe Ansicht hat wie die Dänische Volkspartei mit ihrer Fremdenfeindlichkeit. Wir haben hier eine Allianz mit national-romantischen Untertönen zwischen dem linken Flügel und der äußersten Rechten, der mich sehr betroffen macht.“
Doch die „Juni-Bewegung“ und die anderen linken Nein-Gruppen fürchten im Gegensatz zur „Dänischen Volkspartei“ nicht offene Grenzen und das Ende des Dänentums, sondern europäische Großmachtträume. „Das vom internationalistischen Gedanken getragene Nein“, so deren Sprecherin, die Soziologieprofessorin Drude Dahlerup, „verabscheut Denken, das suggeriert, wir müssten eine Großmacht sein, nur dann würden wir uns positiv vom Rest der Welt unterscheiden.“ Die auch im Europäischen Parlament vertretene „Juni-Bewegung“ hegt schlimme Erwartungen fürs Sozialsystem bei einem Anschluss an die Europäischen Währungsunion (EWU): Gebe Dänemark seine eigene Währung auf, bestimme die Europäische Zentralbank über die Währungspolitik. Die aber sieht als vornehmstes Ziel die Preisstabilität, nicht etwa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
„Es ist eine Utopie, zu glauben, Dänemark könne sich aus dem internationalen Wirtschaftssystem ausklinken. Wir sind Teil unserer Umgebung und der Entwicklung um uns herum“, versucht dagegen eine gemeinsame Erklärung führender Wirtschaftsbosse den DänInnen die Unausweichlichkeit eines Ja-Votums am 28. September klar zu machen. Aber sie trifft damit genau die Befürchtungen auch eines starken Nein-Flügels innerhalb der Sozialdemokratie, dass auf dem Wege über die EWU vor allem das beseitigt werden soll, was vom einst stolzen dänischen „Wohlfahrtsstaat“ noch übrig geblieben ist.
In einem gerade erschienen Buch legt Mogens Ove Madsen, sozialdemokratischer Neinsager und Ökonom, eine lange Liste von Argumenten dafür vor, weshalb es auf längere Sicht schwer oder gar unmöglich werden könnte, dass Dänemark soziale Errungenschaften wie eine kostenlose Gesundheitsfürsorge und eine allgemeine Mindestpension in die EWU hinüberretten könne. In „Wohlfahrt in der EWU-Zange“ wird vorgerechnet, warum angesichts eines EU-gemeinsamen Währungs- und Steuersystems die Bilanz eines Sozialsystems, das wie das dänische allein über Steuern finanziert wird, schnell nicht mehr aufgehen wird. „Wenn die Finanzlage schon Anpassungen nötig macht“, so Drude Dahlerup, „dann wollen wir jedenfalls selbst über das weitere Schicksal unseres Wohlfahrtssystems, das schon genügend unter Druck steht, bestimmen.“ Schon jetzt sei es immer mehr der EU-Standard, welcher die nationale Sozialpolitik bestimme.
„Eigentor“ des Premiers
Es ist diese Frage um den Bestand des sozialen Netzes, welche in den letzten Tagen vor der Volksabstimmung die politische Debatte in Dänemark geprägt hat: Ministerpräsident Nyrup Rasmussen reagierte „mit einem Eigentor und lupenreiner Panik“, so die Tageszeitung Jyllands-Posten, auf die Wohlfahrtsstaatsdebatte. Er gelobte nämlich den unveränderten Bestand des jetzigen Pensionssystems für die nächsten 45 Jahre und forderte die 14 EU-Mitgliedsländer auf, dies ebenfalls den DänInnen zu garantieren. Um diesen „Unsinn“, so Jann Sjursen, Vorsitzender der Christlichen Volkspartei, nach einem Tag wieder zurücknehmen zu müssen. So eine Garantie kann eben niemand geben.
In den letzten zwei Wochen schwankte die Kurve der Meinungsumfragen von einem leichten Ja-Vorsprung über ein ausgeprägtes Nein zu dem heutigen Kopf-an-Kopf-Rennen mit Nein-Vorteil – bei immer noch 15 Prozent Unentschiedenen. Obwohl man auf das kleine Dänemark offenbar nicht nur beim Zeitplan für die Aufhebung der Österreich-Sanktionen Rücksicht genommen hatte, sondern extra die Euro-Stützkaufaktion in der letzten Woche veranstaltete – ein vorwiegendes Nein der noch Zweifelnden wäre angesichts der traditionellen Distanz der DänInnen zu jeglicher Übertragung von Souveränität an Brüssel keine Überraschung.
Für einen Euro, der sich nicht weiter nach Norden und Westen ausbreitet, sondern wenn, dann allenfalls in östliche Richtung zu den Beitrittskandidaten mit relativ schwacher Ökonomie, sieht die Tageszeitung Politiken bereits eine Qualmwolke am Horizont herantuckern: „Der Trabant-Euro kommt!“
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