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Diskofox statt Kohle

■ Eine Diskoschiff aus Vollbeton lädt zum Tanz unter der Wasseroberfläche im schalldichten Zementbauch / Wo einst der Motor war, lagert jetzt Alkoholhaltiges

Das Betonlexikon (2.600 Stichwörter) kennt es nicht. Auch auf den Internetseiten der Zement- und Betonindustrie sucht man Hinweise vergeblich. Zwar sponsert der Bundesverband der deutschen Zementindustrie hin und wieder mal eine Betonkanu-Regatta, um die Bauingenieurs-Studenten ein biss-chen ins Metier zu locken. Aber ein ganzes – schwimmendes – Schiff aus Beton?

Gibt es: zwei Exemplare – beide übrig geblieben aus Hitlers Kriegsproduktion. Die damals nur gebaut wurden, weil Stahl knapp und die schweren Zementkähne schnell zu produzieren waren. Heute sind die Zementpötte fast vergessen, weil sie zu schwer und wenig wendig sind. Einer der beiden letzten ankert seit einem Jahr in Bremen: Die „MS Treue“, die heute als schwimmende Disko Eröffnung feiert.

Betonschiff. „Irgendwie hatte das einen enormen Reiz“, erzählen Gerd Oltmann und Hannes Höffmann, die die „MS Treue“ vor zwei Jahren kauften. Hässlich war das Schiff damals: rundum nackter dreckig-schwarzer Beton, acht Zentimeter dick. Ein Außenklo für die Matrosen (mit Abflussloch ins Wasser), die sich zu viert eine Mini-Kajüte teilten. Einzig der Kapitän hatte es ein bisschen netter.

Nach zwei Jahren Renovierung ist aus dem kleinen Refugium des Kapitäns eine Herrentoilette mit bestem Bullaugen-Blick aufs Wasser geworden. Aus der Matrosen-Schlafstatt entstand ein Notausgang. Dem dusteren Maschinenraum hat man den Motor entrissen, um dort stapelweise Alkoholika zu bunkern. Und die Betonwände im Bauch des schweren Koloss haben die neuen Eigner fröhlich gelb gestrichen, um zum Tanz unter der Wasseroberfläche einzuladen. Vier mal pro Woche will ein Edel-Gas-tro-Team Nachteulen in den „La Barca“ Schiff-Club locken.

„Oh, dachten wir anfangs, ein Betonschiff – das klingt ja nicht gerade positiv“, gesteht Marianne Grewe-Wacker, Projektentwicklerin im Häfenressort, damals auf der Suche nach neuen Schiffen für die Schlachte. Inzwischen ist sie von Konzept und Beton überzeugt. Vier mal in der Woche Tanzen – schalldicht. Draußen soll man vom Lärmpegel im Zementbauch nichts mitkriegen. „Für uns war aber auch die historische Bedeutung interessant“, meint Grewe-Wacker mit Verweis auf die wechselvolle Geschichte der „MS Treue“: Erst Küs-tenmotorschiff, dann zwanzig Jahre Holz- und Kohle-Transporte, anschließend Motorradwerkstatt, es folgte ein kurzes Interim als Vorlesungs- und Partysaal für Hamburger Kunststudenten, schließlich geht die „MS Treue“ als Diskoschiff in Bremen fest vor Anker.

72 solcher Kähne wollte Hitler ursprünglich bauen lassen. Im Zwölfer-Pack wurden die Schwergewichte damals in Zement gegossen. Nach drei Serien endete die Produktion und die meisten Zement-Kolosse auf dem Meeres-Schrottplatz oder als Zielscheibe für die Bundeswehr, glaubt Besitzer Oltmann, der inzwischen vom Möbel-Designer zum Beton-Experten mutiert ist. Das zweitletzte Schwerstschiff liegt inzwischen im Rostocker Schifffahrtsmuseum – während man in Bremen darin tanzen gehen kann. pipe

Die „MS Treue“ liegt am Anleger 5, Bürgermeister-Smidt-Brücke. Mittwochs After Business Lounge (ab 18 Uhr), donnerstags Buena Vista House Club (ab 20 Uhr) jeweils 8 Mark Eintritt, freitags und samstags ab 22 Uhr, 14 Mark Eintritt mit Dance Classics und House-Musik.

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