piwik no script img

Räuberleiter zum Tümmeltanz

Verschwunden im Orkus der Leiber: Slamdancers Reise durch ein beinhartes Konzert

Pünschel stand breitbeinig da. Den Kopf etwas gesenkt, den linken Arm angewinkelt mit geballter Faust, die rechte Hand auf Höhe des Gürtels – und sowohl sein großer, dicht bewachsener Schädel als auch die lockere Rechte, deren Daumen und Zeigefinger irgendetwas zu halten schienen, bewegte sich stoisch im Rhythmus des beinharten Boogie, den Rose Tattoo von der Bühne auf uns niedergehen ließen. Es war brachial. Wir standen dicht gedrängt, eine Büchsensardine hätte nicht mit uns tauschen wollen, und die kann in ihrem Ölbiotop ja auch keinen Freischwimmer mehr machen. „Wenn die jetzt noch ‚Fast Eddy And The Butcher‘ spielen“, schrie er mir ins Ohr, dass ich erschreckt zusammenzuckte, „dann hamse gewonnen. Dann hamse wirklich gewonnen.“

Kitzelndes Trommelfell

Ich steckte mir den Zeigefinger tief in die Muschel, um das unangenehme Kitzeln vom Trommelfell zu bekommen, und nickte nur verständnisvoll. Pünschel war Rose Tattoo-Addict. Da konnte man nichts machen. Ich wollte ihm eben zurufen, dass mit seinem Lieblingslied heute kaum zu rechnen sei, denn eine siebenminütige, langsame, cool groovende Vorstadtballade schien mir nicht das rechte Live-Brausepulver zu sein, und so eine erfahrene Band müsste dies eigentlich wissen. Dies wollte ich ihm also gerade zurufen, als Pete Wells, Slide-Gitarre, nach vorn an den Bühnenrand gebummelt kam, drei mächtig gewaltige Akkorde auf seinem Flaschenhals runterrutschte – woraufhin Pünschel für zehn Sekunden zu einem Standbild einfror, seine Arme dann aber hoch in die Luft warf und einen gänzlich entmenschten Schrei ausstieß: „Daaanke!“

Zwei gut vierzigjährige Jeans-Ladies drehten sich um zu ihm und grienten süß herüber. Ihr wunderschöner Ausdruckstanz schien noch eine Spur exaltiertere Formen anzunehmen, und gelegentlich wischte wasserstoffperoxydblondes Haar durch unsere Gesichter. Mehr kann man nicht wollen.

Als nun wieder einmal ein Slamdancer, der vierte oder fünfte schon, über unseren Köpfen hinweg zur Bühne durchgereicht wurde, bemerkte ich einen herrischen, ja, beinahe brutalen Zug um Pünschels Mund. Er stieß mich an, wild entschlossen: „Mach mal Räuberleiter, ich muss da jetzt auch rauf!“ Es war keine Bitte, es war ein Befehl. Schon stellte er einen Fuß in meine gefalteten Hände, drückte sich hoch, ging in den Stand – und von überallher flogen plötzlich hilfreiche Hände heran, die ihn stützten, mit nach oben stemmten und auf die er sich schließlich bäuchlings zum Tümmeltanz bettete. Auch die zwei blonden Schönheiten ließen sich lachend herbei, gaben ihm noch einen zärtlichen Klaps mit auf den Weg, den ich ihm sehr neidete, und dann wurde er auch schon hinweggespült.

Schlängelnde Peristaltik

Das war ein schöner Anblick, wie er, von der zufälligen Peristaltik vieler Hände angetrieben, sich langsam fortschlängelte, nach rechts gedrückt wurde, weil da links augenscheinlich längere und kräftigere Arme zur Stelle waren; wie sich die rechte Seite das aber auch nicht bieten lassen wollte und sich ehrgeizig dagegen stemmte und ihn so wieder auf den rechten Pfad brachte.

Einmal sah es so aus, als würde er in eine sich urplötzlich auftuende Menschenlücke fallen, fast senkrecht standen die Beine in der Luft, und man musste schon Angst haben um Pünschels Gesundheit, aber dann griffen doch wieder ein paar beherzte Hände zu, sein irr grinsendes Gesicht tauchte genauso schnell wieder auf, wie es in diesem Orkus der Leiber verschwunden war, und er konnte unbeschadet seine Reise fortsetzen – hin zur Bühnenabsperrung, wo ihn schon zwei kurz geschorene, simpel dreinblickende Security-Kräfte der „Magdeburger Metal Militia“ empfingen und mit ein paar freundlichen Knüffen zum rechten Bühnenrand abführten. FRANK SCHÄFER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen