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EU-KOMMISSAR MARIO MONTI VEREINFACHT DIE KARTELLKONTROLLEDer Tiger verliert seinen letzten Zahn

Das europäische Wettbewerbsrecht ist sowieso ein fast zahnloser Tiger. Jetzt will Kommissar Monti auch noch die letzten, schon kariesverseuchten Zähne ziehen.

Bislang sind wenigstens Kartelle verboten – meistens jedenfalls. Wenn die Betonindustrie ihre Preise gemeinsam anmischt, dann wird schon mal dazwischengeschlagen. Oft genug ging es jedoch um die Medieninszenierung der Kommissare van Miert und Monti. So wurde etwa den Fußballvereinen die Transferentschädigungen bei Spielerwechseln untersagt (für Eingeweihte: das Bosman-Urteil). Oder die freien Berufe in Deutschland: Ihre alles in allem bewährte Gebührenordnung ist bedroht. Dabei sichern Ärzte und Anwälte (noch) eine solide gesellschaftliche Infrastruktur. Weg damit.

Andere Kartelle – und dies sind Kartelle der Großen – werden dagegen gefördert: Das Eurochequesystem zum Beispiel ist ein Paradekartell der Kreditwirtschaft. Und DaimlerChrysler, Ford, General Motors sowie Renault/Nissan dürfen künftig über eine gemeinsame Internetplattform einkaufen. Die mittelständischen Zulieferer in Bahlingen oder Bangkok werden davon mit Schrecken hören.

Noch schlimmer steht es um den Kernbereich des Wettbewerbs. Seit Jahren rast eine Fusionsflut über Europa und bedroht die Reste der sozialen Marktwirtschaft. Den Wettbewerb sehen die blinden EU-Wächter jedoch nur gefährdet, wenn „eine marktbeherrschende Stellung“ in einzelnen Teilmärkten oder Ländern erreicht wird. Eine solche Marktbeherrschung droht jedoch angeblich erst, wenn ein Konzern einen Marktanteil erringt, der größer als ein Viertel ist. Oligopolistischer geht es kaum, und schlimmer noch, dahinter lauert eine wirtschaftspolitische Ideologie, die sich mit zwei Konzernen pro Markt begnügen will.

Bei dieser Großzügigkeit überrascht es nicht, dass innerhalb von zehn Jahren in Euro-Land lediglich 13 Fusionen verboten worden sind! Angesichts der Gesamtzahl aller Anmeldungen bei der Wettbewerbskommission von 1.469 ist dies nur ein Bruchteil der Großfusionen.

Der „neue“ EU-Kommissar Monti war von Anfang an unzufrieden mit „seinem“ EU-Recht. Allerdings nicht etwa, weil es bislang nur sehr begrenzt Wirkung zeigte – sondern weil es zu bürokratisch sei. Das jetzt vorgestellte Konzept setzt diesen Weg der Erleichterungen für die Wirtschaft fort. Industrie und Banken wird es freuen. Nicht nur, dass der Tiger seine letzten Beißer verliert, er soll endlich nicht mehr im Wege herumstehen und Fusionen verlangsamen. Beschäftigte, Verbraucher und Mittelstand wird solch eine „Reform“ noch teuer zu stehen kommen. HERMANNUS PFEIFFER

Der Autor ist Wirtschaftspublizist in Hamburg

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