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Mehr als Homer

Neuer Film von Joel und Ethan Coen  ■ Von Tim Gallwitz

Die Erzählmaschine Kino ist unersättlich. Die Coen-Brüder sind in ihrem achten Film „O Brother, Where Art Thou?, der diese Woche auf dem Filmfest zu sehen ist, zum Zellkern der abendländischen Literatur vorgedrungen und haben Homer ausgeweidet. Der Titel allerdings hat mit Good Ol' Homer nichts zu tun, sondern ist ein Kopfnicken der Coens in Richtung Pres-ton Sturges. In dessen Film Sullivan's Travels von 1941 packt einen Hollywoodregisseur der Wunsch, mit 10 Pence in der Tasche ins vermeintlich wahre Leben hinauszutreten, wo er als Hobo allerlei Abenteuer erlebt: draußen in der Depression.

Die Realität zu inspizieren – eine zu einfache Aufgabe für die Coens. Zudem, so leicht wie Sullivan seinerzeit oder auch Kalif Harun Al Raschid einst hinabstiegen, geht es heute nicht mehr. Homers Odyssee, immerhin Silbermedaillengewinner in der Disziplin „älteste abendländische Erzählung“, ist Steinbruch für ihre Story und vielleicht auch der Teppich, auf dem sie aufliegt.

Im Teppichmuster erkennen wir George Clooney, nie war er besser, als Everett Ulysses McGill. Der raunt von einem Schatz und schon sind John Turturro und Tim Blake Nelson mit ihm unterwegs im hübsch-gestreiften Sträflingsoutfit à la Daltons. Auf ihrer Fluchtodyssee durchs Mississippi der 30er Jahre begegnen ihnen Sirenen, verführerische versteht sich; man trifft den einäugigen John Goodman, den Zyklopen, der Bibeln verkauft und entsprechend gewalttätig tut. Nebenbei finden die drei Ausbrecher noch Zeit, als Soggy Bottom Boys eine Platte aufzunehmen. Wahlkampf ist dann auch noch, und der Manager des Herausforderers will Everetts Ex-Frau (Holly Hunter) heiraten. Für diesen Schatz ist McGill ausgebrochen (olympischer Rekord in der Disziplin Heteroerzählung), und er wäre nicht Everett Ulysses, wüsste er die Heirat nicht zu verhindern. Denn so lang genügend Pomade der Marke Dapper Dan im Haar, so lang ist Everett um keine Finte verlegen.

Und die Coens haben ebenfalls ausreichend Dapper Dan im Kopf. Auch ihnen fällt immer noch was ein. Altbekannte Fäden sind zu neuen Mustern geknüpft, und selbst wenn da kein Grün ist, schmeckt es dennoch frisch. Nach dem digitalen Mastering ist Mississippi, im Sommer angeblich einer der grünsten Plätze des Planeten, ausgeblichen wie nach einer Domestosbehandlung. Eine mitunter fast monochrome beige-braune Sonnenhelle dominiert den Look, der in seiner spröden Staubigkeit nur noch vom Spiel Holly Hunters übertroffen wird. Keine Einfältigkeit ist in der Einfarbigkeit, und so buchstabieren die Coens den Dualismus von Gut und Böse in Bahnen des Bösen und etwas weniger Bösen. Der Gouverneur gewinnt die Wahl, weil er die Soggy Bottom Boys kurzerhand eingemeindet. Deren „I'm a man of constant sorrow“ ist über Nacht ein Hit geworden, das Wahlvolk schwärmt für das Trio mit den angeklebten ZZTop-Bärten. Amnestie verspricht der Gouverneur; doch der Sheriff hat das nicht vernommen. Und wenn nichts mehr hilft? Dann hilft die Diziplin Metaphysik. Rekordhalter: die Sintflut ...

Also Edelmetall für „Coens Reisen“. Sullivans Odyssee durch die Niederungen der Gesellschaft clever abgekürzt: Shortcut Preston Sturges, selbstreflexive Komik, sozialkritische Fußnote. Sullivan übrigens entdeckt am Ende seiner Reise, dass das Lachen, und sei es im Knast, befreiend ist. Er emanzipiert sich vom kritischen Ernst und macht wieder Komödie. Die haben die Coens nicht verlassen, immer nebenbei dahin oder dorthin gestellt, dass Lachen und Musik vielleicht befreiend sein könnte. Zumindest für die, die raus wollen. Nur wo raus?

heute, 20 Uhr, Abaton; Sa, 22.15 Uhr, Zeise

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