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Jagd auf das „Alstergold“

Seit sechs Jahren entmüllt der Verein „De Fleetenkieker“ ehrenamtlich die Alster und zeigt Kindern den Spaß am Einsatz  ■ Von Timm Christmann

„Wer bei uns mitmacht, ist ein Freak“, sagt Thomas Rüsch. Er sitzt im Heck des „Aalwebers“, einem der zwei sechs Meter langen, flachen Holzboote des Vereins „De Fleetenkieker“ und zeigt auf Gerd. Keine hundert Meter hinter dem Vereins-Ponton im Osterbekkanal hat Gerd Diekmann die „Zitronenjette“ schon wieder gestoppt, um ein paar verrostete Büchsen aus dem Wasser zu angeln. Dann wird weitergetuckert, hinaus auf die Außenalster, hinein in einen warmen, sonnigen Herbstmorgen. Leichter Nebel wabert noch über die glatte Wasseroberfläche. Die Natur gibt sich idyllisch, doch ihr Feind lauert in der Uferböschung.

„Alstergold“ nennt Thomas Rüsch die Plastikflaschen, Dosen und Tüten, die irgendwie von Brü-cken fallen, vom Wind ins Schilf getrieben werden und dort seit 1994 von den Fleetenkiekern wieder aufgelesen werden. Fast alle 30 Mitglieder machen das ehrenamtlich – nur Rüsch ist auf ABM-Basis angestellt. Mit seinen schulterlangen, blonden Haaren, in Jeans und Turnschuhen wirkt er trotz seiner 37 Jahre wie ein Student. 1997 erfuhr er von dem Verein und geht seitdem wie die 15 anderen Bootsführer regelmäßig mit Schulklassen und anderen Gruppen auf umweltpädagogische Schatzsuche.

Heute ist sind es 28 Drittklässler aus Nienstedten, die, mit Käschern und Gummistiefeln ausgerüstet, schreiend über den glitschigen Steg am Café Cliff heranschliddern. Alle wollen zuerst, doch nur acht Kinder passen in ein Boot. Vom Heck betrachtet wirken sie „wie eine indische Gottheit,“ amüsiert sich Rüsch über das Knäuel orangefarbener Schwimmwesten, aus dem unzählige Greifarme und Käscher ranken. „Ich will“ und „geh weg“ krakeelt es aus dem kämpfenden Pulk. Alle wollen sie das erste „Gold“ des Tages, eine ahnunglos auf den Wellen schaukelnde Plastikflasche, aus dem Wasser fischen. Der Eifer des Gefechts behindert die edle Tat. Die Beute wird nur weiter weg geschubst, und Thomas Rüsch muss das flache Holzboot mit dem Außenborder wieder näher an den Schatz heransteuern. „Hier lernen die Kinder mal, wieviel Mühe es macht, ein Bonbonpapier aus dem Wasser zu holen, und wie leicht es dagegen hineingeworfen ist“, kommentiert er die Bemühungen.

Die fördern an diesem Morgen knapp zwei Säcke voller Müll zutage. Doch die Begeisterung gilt weniger der Menge, als der Exotik der Funde: „Wir haben einen Autoreifen!“ – „Na und, wir haben ganz viele Glitzerketten!“ brüllen sich die Kinder über den Bootsrand zu.

Der Spaß der Kinder ist Gerd Diekmanns Motivation. Der KFZ-Mechaniker im Ruhestand – getönte Fliegerbrille, abgenutzte hellbraune Lederjacke – ist ausschließlich als Bootsführer unterwegs. „Wenn du hier zwei bis drei Tage nicht sammeln warst, ist alles wieder voll“, empört er sich. Eine Sisyphusarbeit? Diekmann schränkt ein: „Na, das ist wie beim Straßenreinigen. Gäbe es keinen Dreck, hätten die Leute keinen Job.“

Besonders schlimm sei es nach Festen wie dem Alstervergnügen. Bei solchen Gelegenheiten zeigt sich dann, dass die Fleetenkieker nicht nur gegen die tägliche Müllflut kämpfen. Als der G-Move um die Binnenalster zog, fragte Thomas Rüsch vergebens bei Veranstalter und Behörden nach, wer sich denn danach um den Müll im Wasser kümmere. „Als auf mein Angebot, das Ganze umsonst zu beseitigen, keine Antwort kam, habe ich es am Dienstag darauf einfach mit einer Schulklasse erledigt.“

Den Schülern aus Nienstedten bleibt ein solcher Großeinsatz erspart. Da sie wieder am Cliff aussteigen, müssen sie auch die Bootsreinigung auf dem Ponton nicht mehr mitmachen. „Auch das gehört sonst zur Bewusstseinsbildung“, sagt Rüsch. Umwelterziehung oder Wasserreinigung – auf die Frage nach der Prioriät zeigt er wortlos auf ein paar Fotos von überquellenden Mülleimern. Daneben hängt ein Plakat der Stadtentwässerung: „Das Ziel ist klar.“

Beim Gehen fällt sein geübter Blick auf einen Plastikhandschuh im angrenzenden Park. Den habe er vorige Woche einem besonders eifrigen kleinen Jungen geschenkt, erzählt Thomas Rüsch, wirft den Handschuh in den Mülleimer und lacht. Albert Camus schreibt: „Man mss sich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Vielleicht auch als Fleetenkieker.

Wer bei den Fleetenkiekern mitfahren oder Mitglied werden möchte, kann sich bei Thomas Rüsch unter 279 32 35 melden.

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