Wunschmaschine à la Endemol

Dreharbeiten in der Verbotenen Zone zwischen Big Brother, Breitwandkino und postmodernem Utopieverlust: Sebastian Hartmann inszeniert Andrei Tarkowskis Film „Stalker“ und eröffnet die „Volksbühnenstudios“ am Prater

Die Szenerie ist so hübsch-hässlich wie eine Landschaftstapete. Man blickt auf rote Felsen und weite Canyons, wo jeden Moment der Marlboro-Mann auftauchen könnte, wenn der nicht längst gestorben wäre. Dafür ist das Hängebauchschwein, das zwischen Pappkakteen im Vordergrund weidet, ziemlich lebendig. Es pinkelt noch in den roten Sand, der dekorativ zwischen den Kakteen aufgeschichtet wurde, dann schläft es ein.

Wir sind in den „Volksbühnenstudios“, die Bert Neumann in den Prater an der Kastanienallee gebaut hat: ein kleines Filmset in einem enormen Raum, mit Schienen für den Kamerawagen, herumstehenden Scheinwerfern und riesigen Leinwänden rechts und links. An zwei Wänden sind in zwei Reihen die Zuschauer platziert. Wie zuletzt das „New-Globe“ für Shakespeares Rosenkriege, ist diese ironische Bühnenlandschaft Kulisse für eine Reihe von Inszenierungen, in denen Filmstoffe für das Theater bearbeitet werden sollen. Unter anderem wird Jan Jochymski hier seine Variante von „Beach“ vorstellen, ohne Leonardo DiCaprio. Albrecht Hirche wird sich mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ befassen.

Angefangen hat jetzt Sebastian Hartmann mit einer Variation über Andrei Tarkowskis „Stalker“. Der Film entstand Ende der 70er-Jahre, als sich die Systeme in waffenstrotzender Agonie gegenüberstanden und Europa vom Untergang durch die Neutronenbombe albträumte. Tarkowski schickte drei Glücks- und Abenteuersucher in ein gespenstisches Katastrophengebiet. Anführer war jener „Stalker“ – kein Name, sondern ein amerikanischer Begriff aus der Welt von Coopers „Lederstrumpf“. Es bedeutet so etwas wie „Trapper“ oder „Fährtensucher“. Und darum ging es: Fährten zu finden, auf denen man unbeschadet durch die verbotene Zone kommt, in deren Zentrum irgendwo ein geheimes Zimmer vermutet wurde. Von diesem Zimmer glaubte man, dass dort alle Wünsche in Erfüllung gehen sollten. Auch deshalb war „die Zone“ Sperrgebiet. Denn die Wünsche der Menschen sind gefährlich. Besonders wenn sie in Erfüllung gehen. Der realexistierende Kommunismus war so ein in Erfüllung gegangener Wunsch – zum Beispiel. Auch die Atomkraft illustriert sehr deutlich, was wird, wenn Menschen zu viel wünschen. So war Tarkowskis Film auch Kommentar zum Schicksal und zur Dialektik der Utopie.

Heutzutage sind Utopien, wie wir wissen, ziemlich aus der Mode. Interessieren tut man sich eher für die ganz privaten Fragen und Katastrophen. Liebt er mich noch? Wer muss am Sonntag raus aus dem „Big Brother“-Haus? Und auf dies Niveau holt Hartmann Tarkowskis mythenschwangere Geschichte herunter. Das war gut überlegt, aber dann leider weniger gut gemacht. Den ganzen Abend wurde man das Gefühl nicht los, hier hat Hartmann zwar geahnt, wo es hingehen müsste, aber dann doch gefürchtet, sich an Tarkowski die Finger zu verbrennen.

Es tauchen verstreut ein paar Motive aus dem Film auf. Die Abschiedsszene zwischen Stalker und seiner Frau, der Rucksack des Wissenschaftlers mit der Bombe. Auch die verbotene Zone, in die man gar nicht mehr aufbrechen muss, weil man längst in ihr gefangen sitzt. Aber die ganze Geschichte kommt irgendwie nicht in Fahrt und am Ende ist dann kaum mehr daraus geworden, als ein Abend mit drei Männern und einer Frau, denen man dabei zusehen darf, wie sie ein bisschen über den Stalker-Stoff, aber noch mehr über sich selbst improvisieren.

Es spielen Thomas Lawinsky (Schriftsteller) Ingolf Müller-Beck (Wissenschaftler) und Cordelia Wege (Stalkers Frau). Herbert Fritsch ist ein wunderbar melancholischer Stalker, der aber nicht recht aus seiner Haut herausdurfte. Meistens zeichnet einer der vier das Geschehen mit der Videokamera auf und alles ist noch mal im Breitwandformat auf der Leinwand zu sehen. Die Verbotene Zone hat dann sofort Endemol-Geschmack. Aber dann mutieren die vier zur gefühligen Selbsterfahrungsgruppe: heulend, umarmend, Händchen haltend. Viele große Worte über das Leben werden auf recht kleiner Flamme weich gekocht. Und die Geduld des Zuschauers manchmal doch arg strapaziert.

ESTHER SLEVOGT

Nächste Vorstellungen: 30. Septembersowie am 5., 6., 7., 10., 11., 14. Oktober.Jeweils um 20 Uhr im Prater,Kastanienallee 7–9