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Ärzte streiken im Osten

Viele Arztpraxen in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind seit Montag geschlossen. Tausende Ärzte protestieren gegen die Gesundheitsreform und sinkende Honorare

MAGDEBURG taz ■ Ingolf Heina ist Arzt in Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Er hat ein Haus, fährt ein teures Auto und betreibt eine urologische Gemeinschaftspraxis. Doch der 47-jährige Facharzt für Harn- und Nierenkrankheiten lebt nicht so unbeschwert, wie es nach außen scheint: Für seine Praxis müssen er und seine Partner ein Bankdarlehen über 1,6 Millionen Mark zurückzahlen. Heina sagt: „Hätte ich gewusst, wie sich unsere Honorare entwickeln, wäre ich Arzt im Krankenhaus geblieben.“

Seit Montag ist Heina Streikführer. Denn: Seit Beginn dieser Woche halten in Sachsen und Sachsen-Anhalt zwei Drittel aller Fachärzte ihre Praxen geschlossen. Sie behandeln lediglich Notfälle. Erst am Montag werden die Praxen wieder geöffnet haben. Heina ist Vorsitzender der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände in Sachsen-Anhalt. Er kritisiert, dass im Osten nur 14 Prozent des Budgets der gesetzlichen Krankenkassen für die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Arztpraxen zur Verfügung stehen – Medikamente nicht inbegriffen. Für Sachsen-Anhalt sind das eine Milliarde Mark. „Das Geld reicht schon lange nicht mehr“, sagt Heina: „In vielen Praxen deckt das Honorar die Kosten nicht.“

Im Bundesgesundheitsministerium trifft die Klage auf Unverständnis. Ministeriumssprecher Florian Lanz argumentiert, das Durchschnittseinkommen der niedergelassenen Ärzte im Osten habe 1998 139.700 Mark brutto (nach Abzug der Praxiskosten) betragen. Das sei weit mehr als der Durchschnittsverdienst. „Es gibt keinen Anlass für diesen Streik“, sagt Lanz.

Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Natürlich verdienen etliche niedergelassene Ärzte eine Menge Geld – immer mehr stehen andererseits kurz vor der Pleite. Um die ausufernden Kassenausgaben in den Griff zu kriegen, führte der damalige Gesundheitsminister Seehofer 1993 Obergrenzen ein. Die Honorarausgaben der Kassen für die ambulante Betreuung der Bevölkerung dürfen seitdem nur noch im Tempo des Lohnzuwachses der Versicherten steigen. Weil die Ärzte jedes Jahr mehr Behandlungen durchführen, bekommen sie für die einzelnen Leistungen immer weniger Geld.

Zu Beginn dieses Jahres trat dann das Gesundheitsreformgesetz 2000 in Kraft. Mit ihm zog die grüne Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer die Schraube für die Fachärzte noch einmal kräftig an – während sie den Hausärzten etwas mehr Geld zuschanzte.

Im Sommer bekamen die Fachärzte die ersten nach dem neuen Reformgesetz berechneten Honorare. Während sich die Hausärzte in Sachsen-Anhalt über ein Honorarplus von 4,6 Prozent freuen konnten, bekamen die Fachärzte nach KV-Angaben im Durchschnitt sechs Prozent weniger Geld.

Das brachte das Fass zum Überlaufen, denn über 95 Prozent der privaten Praxen im Osten sind Nachwende-Gründungen und deshalb oft hoch verschuldet. Zu DDR-Zeiten als Arzt schlecht bezahlt, waren die Gründer auf Bankkredite angewiesen, um die Praxiseinrichtungen bezahlen zu können. Karltheodor Huttner, Sprecher des sächsischen Sozialministeriums, weiß: „So manchem Arzt sind die monatlichen Tilgungsraten über den Kopf gewachsen.“

INGOLF SEIFERT

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