„Wir sind doch alle Ossis“

mit Harald Schmidt sprach JENS KÖNIG

Sie sind in Nürtingen aufgewachsen. Haben die Leute in Ihrer schwäbischen Heimat eigentlich schon mitbekommen, dass Deutschland wiedervereinigt ist?

Vermutlich nicht. Die merken nur, dass sie Soli-Zuschlag zahlen.

Wie fällt Ihre Bilanz von zehn Jahren deutsche Einheit aus?

Sehr gut. Ich sehe das in größeren Zusammenhängen. Die Vereinigung ist gewaltfrei abgelaufen, das halte ich für eine besondere Qualität. Und seitdem wird auf höchstem Niveau gejammert – die einen jammern, weil sie zahlen müssen, die anderen heulen, weil es doch ein paar Jahre länger gedauert hat, bis sie ihre drei Mercedes zusammenhatten. Aber wenn man Deutschland mit Ländern vergleicht, die auf unserem Niveau liegen, Ruanda und Somalia zum Beispiel, dann stellt man doch fest, dass wir eigentlich keine Probleme haben.

Sogar die Koreaner interessieren sich schon für unsere Erfahrungen bei der Vereinigung.

Was heißt „Wahnsinn“ eigentlich auf koreanisch?

Sind Sie für die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West?

Irgendwie schon.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit?

Nicht gleich übertreiben. Man sollte ruhig mal sagen, dass es auch im Westen keine einheitlichen Lebensverhältnisse gibt. Allein, wenn ich die Lebensverhältnisse von mir und meinem Team vergleiche ...

Sie als Deutschland-Experte: Brauchen wir einen neuen Solidarpakt für den Osten?

Ja, schon aus Eigeninteresse. Der soziale Friede hängt stark von materieller Sicherheit ab.

Gerhard Schröder sagt, die Hälfte der Wegstrecke im Osten sei geschafft. Was meint er damit?

Das meint er persönlich. Nach vier Jahren ist Schluss mit Rot-Grün. Gucken Sie sich doch mal Joschka Fischer an, wie der seinen Job genießt. Der fliegt in einer Woche dreimal nach New York und wieder zurück. Fischer weiß genau, dass das nicht wiederkommt.

Sie bezeichnen die deutsche Einheit als Erfolgsgeschichte. Trotzdem verstehen sich Ost und West immer noch nicht.

Ist das so?

Ist es nicht so?

Ich bin mir da nicht sicher. Vielleicht ist das alles nur noch ein Medienthema. Wenn man Ursula Engelen-Kefer im Fernsehen sieht, dann könnte man auch den Eindruck gewinnen, der deutsche Arbeiter sei unzufrieden.

Einige Politiker fordern die Ostdeutschen und Westdeutschen immerzu auf, sich ihre Geschichten zu erzählen, um ihre Fremdheit zu überwinden. Haben Sie schon jemandem Ihre Geschichte erzählt?

Nein, bloß nicht. Ich will auch keine Geschichte hören, von niemandem, weder aus Ost noch aus West. Bitte keine Krankheitsgeschichten, keine Lebensgeschichten, nichts. Ich möchte damit nicht belästigt werden. Sie sind mir alle zu lang erzählt. Ich halte es da mit dem eisernen Gesetz, das im Düsseldorfer „Kommödchen“ galt, wo ich in den 80er-Jahren gearbeitet habe: Pointe geht vor Inhalt. Diese ganzen Lebensgeschichten haben alle keine Pointe.

Es bringt also nichts, die Unterschiede zwischen Ost und West wegzuerzählen?

Nein, überhaupt nichts. Wir sollten eher stolz auf sie sein. Wir waren 40 Jahre lang getrennt, das war der Lauf der Geschichte. Was soll’s. Den Rest erledigt vielleicht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, wenn sie mal wieder Weltmeister werden sollte. Das würde mehr zur Ost-West-Versöhnung beitragen als alles andere.

Wann waren Sie das letzte Mal in Ostdeutschland?

Vor ein paar Wochen. In Erfurt.

Und?

Nichts und. Es war prima. Eines ist mir allerdings aufgefallen: Die Ostdeutschen entschuldigen sich permanent. Dabei gibt es keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen. Bei meiner Veranstaltung hat alles geklappt. Alles. Anschließend wollte ich noch nach Arnstadt, die Orgel von Bach sehen. Da fragten die mich: Entschuldigung, Herr Schmidt, wollen Sie lieber Autobahn fahren oder Landstraße? Entschuldigung, ist das Wetter für Sie okay? Hey, habe ich geantwortet, warum habt ihr den Dom für mich nicht frisch streichen lassen?

Schröder hat den Ostdeutschen auf seiner Sommerreise gesagt, mit ihren Leistungen bräuchten sie sich hinter den Westdeutschen nicht zu verstecken.

Da hat der Kanzler Recht. Was mich wirklich stört, ist die Arroganz vieler Westdeutscher. Dafür gibt es keinen Grund. Die meisten haben doch nur per Zufall den Krieg auf der amerikanischen Seite beendet. Der Osten muss keine Minderwertigkeitskomplexe haben. Von der Mentalität her sind wir sowieso alle Ossis. Auch im Westen sind doch die Leute permanent unzufrieden: Das Benzin ist zu teuer, Flugzeuge gibt es zu wenig, die Wartezeiten am Gepäckband sind zu lang.

Nebenbei, wie nennen Sie den Osten eigentlich: Ostdeutschland, neue Bundesländer, fünf neue Länder oder junge Bundesländer, wie Theo Waigel immer zu sagen pflegte?

In meiner Show geht es etwas härter zur Sache. Da sagen wir: drüben, die Zone, SBZ, der deutsch sprechende Teil Russlands. Privat sage ich eher: die Ossis. Ich komme ja aus einer Generation, die noch erlebt hat, wie am Heiligabend bei uns in Nürtingen im ganzen Viertel Kerzen ins Fenster gestellt wurden.

Für die Brüder und Schwestern in der Ostzone.

Ja. Wir hatten sogar Verwandte dort, in Nordhausen im Harz. Denen haben wir laufend Pakete geschickt. Dafür haben sie uns dann besucht, auch schon zu DDR-Zeiten. Das klassische deutsch-deutsche Programm eben.

Wie waren Ihre Verwandten so, als sie nach Schwaben zu Besuch kamen?

Wie Verwandte eben so sind: stressig. Das größte Problem war die Frage, ob bei uns im Wohnzimmer geraucht werden darf oder nicht. Meine Eltern waren Nichtraucher, die Verwandschaft rauchte aber. Meine Eltern entschieden sich gegen das Rauchen. Das Blöde war nur, dass sie die Zigaretten selbst besorgt hatten. Schließlich war es ja die arme Tante aus dem Osten, die zu Besuch kam. Über Politik wurde überhaupt nicht geredet. Eigentlich ist das in Deutschland fast immer so: Es geht nie um die großen, sondern immer nur um die banalen Dinge des Lebens. Das gefällt mir.

Welche Vorurteile haben Sie über den Osten?

Ich habe überhaupt keine Vorurteile. Ich habe nur endgültige Urteile. Ich lebe ja von Dogmen. Aber das sind eigentlich alles positive. Ich finde zum Beispiel Ossi-Frauen im Schnitt besser. Ich finde junge Ossis cleverer als junge Wessis. Sie sind informierter, neugieriger, durchsetzungsfähiger. Die labern nicht so viel rum.

Gibt es nichts, was Sie an Ostdeutschen hassen?

Hassen wäre zu viel gesagt. Mir geht ihr Gejammer ein bisschen auf die Nerven. Aber ich finde, das Gejammer steht ihnen zu.

Gibt es Ostdeutsche, die Sie bewundern?

Selbstverständlich. Bach. Goethe und Schiller hatten auch ihre große Zeit. Und Angela Merkel. Aber die Angie-Euphorie ist ja schon wieder am Kippen.

In einer aktuellen Studie heißt es: Die Ostdeutschen sind mit ihrem Leben zufrieden, die Mehrzahl sagt aber gleichzeitig, dass die Bundesrepublik nicht ihr Land sei.

Das Ergebnis wäre im Westen genauso. Kein Deutscher kann sich mit Deutschland identifizieren, das ist ja unser Problem. Gucken Sie sich den Fußball an: Wenn Frankreich bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft spielt, singt alles, was im Stadion ist, die Marseillaise. Das kommt super rüber, das ist nochmal wie 1789. Stellen Sie sich mal vor, was los wäre, wenn das ganze Stadion die Deutschland-Hymne sänge, selbst wenn die erste, die böse Strophe weggelassen werden würde. Das ist für mich das Kranke, was über unserem Land liegt: Hier darf man nicht ungestraft sagen, dass man Deutscher ist. Und wenn dann noch einer behauptet, er sei sogar stolz darauf, Deutscher zu sein, heißt es gleich: Sind wir jetzt schon wieder so weit? Schreit irgendein Besoffener auf den Champs-Elysées „Vive la France!“, sagen in Deutschland alle: Oh, diese mediterrane Lebensfreude. Aber vielleicht kann Verheugen dieses Problem mit einer Volksabstimmung lösen.

Erzählen Sie mal einen Ossi-Witz.

Einen Ossi-Witz? Kenn’ ich keinen. Ich kenne nur die Witze, die wir selber machen: Hightech in Kleidungsstücken oder, wie man drüben sagt, Reißverschluss.

Sie haben mal gesagt: „Für mich kommen als Opfer nur Prominente in Frage, hochbezahlte, eitle Menschen.“ Warum machen Sie dann Witze über die Ostdeutschen?

Weil ich auch Witze über Grüne, Frauen, Katholiken und Schwule mache. Nur wenn es gegen einzelne Personen geht, suche ich mir als Opfer Prominente aus. Regina Zindler aus Sachsen wegen ihres Maschendrahtzauns zu verarschen – so etwas würde ich nie machen. Man muss solche Leute vor sich selber schützen.

Laut einer Umfrage halten vier Millionen Ostdeutsche Sie für einen Kotzbrocken, weil Sie so viele Witze über sie machen.

Wer hat die Umfrage gemacht?

Warum?

Weil ich Ihnen auch eine Umfrage besorgen könnte, die besagt, dass ich der Retter der Ostdeutschen bin. Es kommt doch nur darauf an, wer die Umfrage bezahlt. Im Übrigen glaube ich, dass ich das Publikum nicht in Ost und West spalte, sondern in Alt und Jung.

Macht es Ihnen nichts aus, eine Hassfigur zu sein?

Ich bin keine Hassfigur. Ich habe mich auf eine andere Vokabel festgelegt: Ich polarisiere. Aber ich sehe mich sowieso mehr als Markenartikel: Entweder man mag mich, oder man mag mich nicht. Die einen kaufen Persil, die anderen Omo. Wenn man es im heutigen Fernsehen zum Markenartikel gebracht hat, kann man ganz beruhigt sein.

Nochmal zurück zu der Umfrage: Immerhin geben auch 57 Prozent der Ostdeutschen zu, Ihre Witze behinderten nicht das Zusammenwachsen von Ost und West.

Dieses Ergebnis kränkt meine Eitelkeit. Ich bin schon davon ausgegangen, dass mein politischer Einfluss größer ist. Ich dachte, wenn Polen jetzt nicht in die EU kommt, liegt das an meinen Polen-Witzen.

Aber wie die Umfrage zeigt, spalten Sie gar nicht die Nation. Wahrscheinlich sind Sie der wahre Macher der deutschen Einheit.

Nein, nein, ich vermittle den Ossis nur jeden Abend das richtige Lebensgefühl.

Vielleicht sollten Sie zum zehnten Jahrestag der deutschen Einheit eine Rede halten und nicht Biedenkopf.

Das ist so eine gefährliche Eitelkeit, zu der man ab und an verleitet wird. Plötzlich glaubt man, man sollte auch in der Politik mitmischen. Aber das ist definitiv nicht mein Feld. Sich politisch zu äußern, ist ein Zeichen mangelnder Intelligenz, sagt Julien Green. Schon dieses Interview zur deutschen Einheit ist ein Grenzfall. Aber ich bin natürlich so eitel, fünf Seiten von mir in der taz lesen zu wollen.

Im Osten wird Ihre Ironie viel weniger verstanden als im Westen. Woran liegt das?

Vielleicht muss man einen gewissen Grad an sozialer Sicherheit, auch an Sättigung erreicht haben, um darüber lachen zu können. Wenn Sie keinen Job haben und in einer miesen Gegend wohnen, ist Ihre Wut vermutlich größer als Ihr Humor.

„Nicht ohne Grund gibt es keinen Komiker, der aus der Oberschicht kommt.“ Der Satz stammt von Ihnen. Der proletarisch geprägte Osten müsste demnach ein gutes Terrain für Komiker sein.

Ja, eigentlich schon.

Warum gibt es dann keinen guten ostdeutschen Komiker?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Es gibt ja auch nicht viele gute westdeutsche Komiker. Es gibt nur Menschen, die unter der Behauptung, sie seien lustig, jetzt im Fernsehen verheizt werden. Die haben aber nichts mit Komik zu tun.

Sie müssten die Ostdeutschen doch eigentlich gut verstehen. Die meisten von denen kommen wie Sie aus einfachen Verhältnissen.

Ich kann deren Situation sehr gut nachvollziehen. Ich hatte als Kind auch keine Adidas-Turnschuhe. Ich wusste aber, dass man die für Geld kaufen kann. Das heißt nicht, dass es je mein Ziel war, Adidas-Turnschuhe zu besitzen. Ich wollte immer ein Star werden. Das mit dem Geld hat sich dann von ganz allein ergeben.

Der Unterschied zu Ihnen besteht darin, dass die Ostdeutschen den Witz nicht als Waffe benutzen, um nach oben zu kommen.

Das müssen sie auch nicht. Sie können es ja mit Arbeit versuchen.

Ihr Minderwertigkeitsgefühl reagieren die Ostdeutschen an den Ausländern ab.

Diese Aggressivität, diese Gewalt macht mir Angst. Wissen Sie, ich war noch nie in der Mark Brandenburg, einer landschaftlich wunderschönen Gegend. Aber wenn ich überlege, ob ich dort hinfahre, habe ich immer im Kopf, dass viele Westdeutsche sich schon gar nicht mehr in diese Ecke trauen, weil sie Angst haben, eins auf die Schnauze zu kriegen. Ich ärgere mich dann darüber, dass ich ständig daran denke. Man kann Brandenburg doch nicht in Sippenhaft nehmen. Gleichzeitig verstehe ich diejenigen, die da nicht hinfahren wollen.

Glauben Sie, dass die größere Aufmerksamkeit, die es im Moment gegenüber der Ausländerfeindlichkeit gibt, hilfreich ist?

Ich habe da so meine Zweifel. Außer ziemlich banalen Sprüchen mit der Forderung, gegenüber Rechtsradikalisten endlich durchzugreifen, höre ich nicht viel, was mich hoffen lässt, dass sich hier wirklich Grundlegendes ändert. Ich sage auch ganz offen, dass ich nicht weiß, wie das Problem in den Griff zu bekommen ist. Vermutlich ist das Thema in sechs Wochen in den Medien ohnehin durch.

Der Osten gilt manchen ja schon als Avantgarde – die Brutstätte des neuen deutschen Gefühls und der Härte. Da gibt’s noch die Sehnsucht nach einem Stahlgewitter, und der Westen mit seinen ganzen liberalen Errungenschaften wird verlacht.

Der Osten wird trendy? Das gefällt mir gut. Dann kämen die Leute aus Ostdeutschland zu uns rüber und würden Kurse abhalten, in denen sie uns erklärten, wie das jetzt so läuft mit dem neuen Lebensgefühl. Das wäre ein völlig neuer Markt. Da kann man nur hoffen, dass die Ossis dann clever genug sind und schnell den Markt besetzen. Wenn nicht, kommen ihnen die Wessis wieder zuvor und erklären dann den Westdeutschen das östliche Lebensgefühl. Aber wenn sich beide nicht beeilen, erledigt sich das Ost- West-Problem von ganz allein.

Warum?

Weil die Post heute schon in Malaysia und Singapur abgeht und morgen noch ganz woanders – nur nicht in Deutschland. Bei uns glauben die Leute doch bis heute, die da unten – ich meine das nicht geografisch, sondern von meinem Weltbild her –, die da unten in Asien wären froh, wenn sie zu uns kommen und um etwas zu essen bitten könnten. Dabei müssen wir uns daran gewöhnen, dass Deutschland langsam Dritte Welt wird. In unserem Land läuft gerade eine gigantische Aktion an: Wer hat einen alten Computer, den er in der Schule abgeben kann? Das ist das Niveau, auf dem wir in die Zukunft gehen.

Und das beunruhigt Sie.

Ja, weil in der Zwischenzeit AOL die UNO kauft. Zwei Tage nach dem Kauf gibt AOL bekannt, dass die UNO als UNO.com an die Börse geht. Ab 16.00 Uhr sind dann die Berechtigungsscheine für Westeuropa abzuholen. Gerhard Schröder steht schweigend daneben und drückt die Daumen – wie bei der deutschen Bewerbung um die Fußball-WM 2006. Zur Belohnung für dieses Stillhalten bekommen Doris und Clara einen Computer in den deutschen Landesfarben geschenkt.

Eine beeindruckende Zukunftsvision.

Vielleicht kommt es auch ganz anders, und Microsoft kauft Deutschland auf. Bill Gates wird aber nur einen Teil des Volkes entlassen. Dabei interessiert es ihn einen Scheißdreck, ob Sie aus Erfurt oder aus Köln kommen, für den ist nicht mal wichtig, ob Sie überhaupt aus Deutschland sind. Ausschlaggebend ist allein die Frage, wie viel Speicherkapazität Sie haben.

Zitate:ZUM THEMA LEBENSVERHÄLTNISSE

„Es gibt auch im Westen keine einheitlichen Lebensverhältnisse. Allein, wenn ich die von mir und meinem Team vergleiche ...“

ZUM THEMA OSTEN ALS AVANTGARDE

„Das gefällt mir gut. Dann kämen die Leute aus Ostdeutschland zu uns rüber und würden Kurse abhalten, in denen sie uns erklärten, wie das jetzt so läuft mit dem neuen Lebensgefühl.“