: Rechts-Staat ohne Waffen?
Neonazi-Aufmarsch in Lübeck verlief ohne größere Zwischenfälle, nur Gegendemonstranten wurden mal wieder festgenommen ■ Von Andreas Speit
„In Dreierreihen aufstellen“, befiehlt Dieter Kern. Über 120 Neonazis folgen den Anweisungen des Vorsitzenden des „Bündnis Rechts“ am Sonnabend auf dem Sportplatz Lohmühle in Lübeck. Anlass des Aufmarsches sind Forderungen, die Kern-Organisation zu verbieten und den Umwelttechniker aus dem Dienst der Hansestadt zu entlassen. „Argumente statt Verbote“ skandieren die Neonazis, als sie durch die Stadt marschieren, angeführt von Kern und dem Hamburger Christian Worch. Nur selten sind „Haut-ab“-Rufe zu hören und „Nazi-raus“-Transparente zu lesen. Vereinzelt werden sie mit Applaus und Deutschlandfahne begrüßt.
Nur bei der ersten Zwischenkundgebung stören Gegendemons-tranten, welche die engen Polizeisperren überwunden haben oder im Stadtteil wohnen. Ihre Zwischenrufe irritieren Annemarie Paulitsch, während sie die Teilnehmer ermahnt, nicht zu schnell zu den Waffen zu greifen. Die Frankfurter Vorsitzende der „Bürgerbewegung für unser Land“ um den ehemaligen RAF-Anwalt Horst Mahler betont, „der „bewaffnete Kampf schadet jetzt nur dem nationalen Widerstand“.
Die Zwischenrufer wurden indes von den Einsatzkräften entfernt. „Insgesamt wurden 29 Personen vorübergehend in Gewahrsam genommen“, sagt Polizei-Einsatzleiter Jürgen Anhalt. Acht Gegendemonstranten wurden zeitweilig festgenommen, da sie Platzverweisen nicht Folge geleistet hätten. „Das Verhalten der Polizei war unverhältnismäßig“, kritisiert Christoph Kleine vom „Bündnis gegen Rechts“.
Gegen 10 Uhr hatte der Verbund aus Gewerkschaften, Parteien, Flüchtlingsforum und Antifa-Jugend zu einer Gegenkundgebung aufgerufen. Über 800 Teilnehmer versammelten sich vor dem Hols-tentor in der Innenstadt. „Statt sich mit den Opfern zu solidarisieren“, kritisiert Heike Behrens vom Flüchtlingsforum, „erklärt Bundesinnenminister Otto Schily erneut die Flüchtlinge zum Problem.“ Auch Lübecks Alt-Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) hinterfragt die Justiz, die eher die „Faschisten schützt als den Rechtsstaat“.
Zum Eklat kommt es, als die grüne Ex-Frauenministerin Angelika Birk ihre Redezeit an Angelika Beer abtritt. Kaum hat die grüne Bundestagsabgeordnete aus Neumünster das Mikrophon in der Hand, schallt ihr „Nie wieder Krieg“ entgegen. Schnell schaltet die Kundgebungsleitung ihr das Mikro ab. „Dies war gegen alle Absprachen“, erläutert Thomas Ri-ckers von der IG-Metall Lübeck.
Nach dem Neonaziaufmarsch in Lübeck brachen einige Teilnehmer nach Neumünster-Gadeland auf, um das vierjährige Bestehen des „Club 88“ zu feiern. Über 100 Gratulanten kamen ins Nazi-Zentrum. Dort trafen sie auf etwa 120 Gegendemonstranten, vor allem Eltern, Lehrerinnen und Schüler der Grund- und Hauptschule Gadeland, die sich spontan zu einem Schweige-Spalier versammelt hatten, das die eintreffenden Nazis sichtlich irritierte.
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