: Chemiehölle wird Vorzeigeprojekt
Mit viel öffentlicher Förderung hat Bitterfeld es nach zehn Jahren fast geschafft, das ökologische und ökonomische Desaster in den Griff zu bekommen. Trotzdem werden noch Generationen mit den Altlasten im Chemiedreieck zu kämpfen haben
von MEIKE BÖSCHEMEYER
Der quecksilbrig glänzende dickflüssige Chemiesee ist verschwunden. Die Leitungen sind dicht, und der Himmel hängt nicht mehr voll giftiger Schwaden. „Das Bild von Bitterfeld hat sich ganz schön verändert“, bilanziert Peter Maurer, Geschäftsführer der Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft Bitterfeld-Wolfen.
12 Stunden täglich arbeitet er, damit andere Arbeit bekommen. Den werbenden Tonfall legt er dabei kaum jemals ab. Für Investoren sei in „einem der bedeutensten Chemistandorte Deutschlands“ alles da: beste Infrastruktur, gut ausgebildete, arbeitswillige Fachkräfte.
Die öffentliche Förderung hat einen guten Teil dazu beigetragen, dass Bitterfeld jetzt einen vom Wissenschaftszentrum Berlin amtlich besiegelten „Chemiepark mit Vorbildfunktion“ besitzt. 300 neue Betriebe haben sich angesiedelt. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt allerdings immer noch bei stattlichen 23 Prozent.
Chemiearbeitsplätze zählen zu den teuersten in Deutschland: 1,2 bis 1,5 Millionen Mark Investionen braucht es mindestens pro Arbeitsplatz, sagt Maurer. 4,5 Milliarden Mark gab es allein für die Region Bitterfeld. Im Mai erst hat der amerikanische Konzern Dow Chemical mit öffentlichem Zuschuss für 5,3 Millionen Mark das ehemaligen Kombinat Buna übernommen. Das sicherte 2.000 der einst 18.000 Stellen. Raum genug für 5.000 neue Arbeitsplätze sei da, sagt Maurer. Er hofft, dass die gerade bewilligten 450 Millionen Mark des Landes Sachsen-Anhalt für Strukturförderungsmaßnahmen dabei weiterhelfen.
Ein Teil des Geldes geht allerdings für die immer noch anstehende Beseitigung der immensen Chemiereste und stillgelegten Anlagen drauf. So schwebt unter Bitterfeld eine zwei Millionen Kubikmeter große Chemieblase. Deren Beseitigung „erlebt keiner von uns“, sagt der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Sachsen-Anhalt, Oliver Wendenkamp.
Nicht nur die chemischen Altlasten bereiten Umwelt-und Wirtschaftspolitikern Kopfzerbrechen. Nach Norden und Nordosten, Richtung Dessau und Lutherstadt Wittenberg erstreckt sich von Bitterfeld aus der ehemalige mitteldeutsche Braunkohletagebau. Nachdem die Kohleförderung eingestellt ist, steigt dort der Grundwasserspiegel. Die Planer wollen aus der Not eine Tugend und aus den ehemaligen Braunkohlegruben die größte Seenplatte Deutschlands machen. Dabei, so Wendenkamp, könnten allerdings auch angrenzende Baugebiete untergehen.
Für „völlig überdimensioniert“ hält er ein anderes Projekt, bei dem regelmäßig fünf ehemalige Tagebaubagger zu Hauptdarstellern einer bizarr illuminierten Show werden. „Ferropolis – die Stadt aus Eisen“ , nennt sich eines der 34 Expo-Korrespondenzprojekte, das beim ausgekohlten Tagebaurestloch GolpaNord angesiedelt wurde. Vor den Industriedenkmälern sangen bereits Herbert Grönemeyer und Mikis Theodorakis. Da waren 8.000 der 25.000 Plätze in der neuen Arena besetzt. Mit den 1,3 Milliarden Mark, die hauptsächlich der Imageverbesserung dienen sollten, sind nach Angaben der Betriebsgesellschaft bislang rund 1.700 Arbeitsplätze entstanden, 750 davon sind allerdings nur – zumindest zunächst – befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
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