Taliban dehnen ihre Macht weiter aus

Im Afghanistan-Konflikt halten Russland und die USA an UN-Sanktionen gegen das Regime in Kabul fest

DELHI taz ■ Der afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani wird immer mehr zum König ohne Land. Während er als offizieller Repräsentant Afghanistans am UN-Millenniumsgipfel teilnahm, schrumpfte das Herrschaftsgebiet seines Statthalters Ahmed Schah Massud weiter. Im Sommer gelang es den Taliban, große Teile der beiden Nordostprovinzen Kundus und Takhar einzunehmen. Schmerzhaft war dabei der Verlust der Stadt Taloqan, dem provisorischen Regierungssitz Rabbanis und Massuds wichtigster Versorgungsbasis. Die Taliban näherten sich damit ihrem Ziel, Massud die Verbindung zwischen seiner Talfestung im Pandschir im zentralen Hindukusch und dem nördlichen Tadschikistan abzuschneiden.

Auch am Südeingang des Pandschir-Tals stieg der Druck auf Massud. Früher konnte er sich immer wieder durch Ausfälle in die Ebene nördlich Kabuls Luft verschaffen. Nun haben ihm die Taliban mit Zwangsumsiedlungen und einer Politik der verbrannten Erde die Möglichkeit genommen, durch Taliban-feindliche Dorfbewohner die Front der Gotteskrieger von hinten aufzubrechen. Lediglich am Salang-Pass, der die Verbindung zwischen Kabul und dem Norden sicherstellt, bleibt Massud eine Drohung. Seine Kontrolle der Höhen über den Tunneleingängen zwingt die Taliban zum Umweg über schwer zugängliche Pässe.

Die Ausweitung der Taliban-Herrschaft auf über 90 Prozent des Landes stellt die Weltgemeinschaft vor die Frage der Anerkennung des tyrannischen Regimes. Zu den schärfsten Gegnern einer diplomatischen Aufwertung gehören die zentralasiatischen Staaten sowie Russland. Moskau bewacht weiter mit Truppen den Grenzfluss Amu-Darja und versorgt über Tadschikistan Massud mit Waffen und Gütern. Der tadschikische Präsident sorgt sich immer stärker, die Etablierung der Taliban als südliche Nachbarn könnte die islamischen Bevölkerungen der innerasiatischen GUS-Staaten gegen deren kryptokommunistische Regime aufwiegeln. Taliban-Außenminister Muttawakil wies dies als Panikmache zurück. Doch die zumindest verbale Unterstützung des tschetschenischen Widerstands durch Kabul ist für Moskau und dessen Bundesgenossen ein schlechtes Omen.

In Russland wurde in den letzten Monaten immer offener gefordert, die Taliban mit militärischen Angriffen auf ihr Territorium auf Abstand zu halten. In den Afghanistan-Gesprächen der Sechs-plus-zwei-Gruppe am Rande der UN-Generalversammlung trat Moskau am stärksten einem Abrücken von der Isolationspolitik gegenüber den Taliban entgegen. Russland wird dabei von den USA unterstützt.. Sie hoffen weiter, durch UN-Sanktionen die Herausgabe von Ussama Bin Laden zu erreichen. Die zentralasiatischen Staaten ihrerseits befürchten, dass die Ausdehnung der Taliban-Macht über den gesamten Norden nicht nur ihre Regierungen gefährden, sondern auch eine neue Fluchtwelle auslösen könnte.

Die Faktoren Flüchtlinge und Menschenrechte beeinflussen die Politik der Taliban allerdings kaum. Sie verdeutlichten dies wieder im Sommer, als sie ihre Offensive trotz der bisher schlimmsten Dürre begannen. Dabei war ein Viertel der Gesamtbevölkerung auf Getreidelieferungen der UNO angewiesen. BERNARD IMHASLY