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Funke in Belgrad zündet noch nicht

Trotz Aktionen in Betrieben, Schulen und Unis kann von einem Generalstreik in Serbien keine Rede sein. Die Opposition spricht von einer Generalprobe und kündigt für heute einen ganztägigen Ausstand an. Fünfzehn Tage Haft für streikende Busfahrer

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Es ist 7 Uhr. Ein trüber, windiger Morgen, es schüttet. Auf der zentralen Belgrader Brücke Brankov Most, die die Innenstadt mit der Wohnsiedlung Neu Belgrad verbindet, herrscht Chaos. Autobusse blockieren die Brücke. Auf beiden Seiten staut sich der Verkehr. Wütende Autofahrer hupen. Einige Demonstranten haben Trillerpfeifen. Tausende durchnässte Menschen überqueren die Brücke zu Fuß. Aktivisten der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) versuchen, dem Durcheinander politische Töne zu verleihen.

Alle Anwesenden wissen: Jetzt hat der Generalstreik begonen, der Serbien lahm legen und den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević zwingen soll, zurückzutreten und seinen Herausforderer Vojislav Koštunica als neuen Staatspräsidenten anzuerkennen. Deshalb sind in vielen Stadtteilen Belgrads Barrikaden aufgerichtet, umgeworfene Müllcontainer und Autowracks blockieren den Verkehr.

„Was soll der Quatsch? Eine Erkältung hole ich mir hier und nicht Milošević“, flucht eine Frau auf der Brücke. Milošević hätte sich „einen Dreck drum gekümmert“, als die Nato Serbien mit Bomben zerstört habe. Es sei naiv zu glauben, dass ihn ein Verkehrsstau oder Massenproteste beeindrucken würden. Sie sei auf dem Weg zur Arbeit und wisse nicht einmal, ob ihr Unternehmen streike oder nicht.

Die meisten Menschen auf der Brücke sind verstört. Ja, sie seien gegen das Regime, und Milošević sei ein Schuft. Aber, ob das die richtige Taktik sei? Vielleicht ist es auch nur das schlechte Wetter, das der matt wirkenden Aktion der Opposition den Schwung genommen hat. Von der Euphorie der Oppositionsanhänger der vergangenen Tage ist heute Morgen nichts zu spüren.

Nach einigen Stunden bekommen Verkehrspolizisten auf der Brücke Verstärkung von Spezialeinheiten der Polizei. Doch alles bleibt friedlich. Polizisten fahren die geparkten Busse weg. Ähnlich werden die Blockaden in anderen Stadtteilen Belgrads beendet. Die Menschen gehen auseinander. Auf die Frage, warum man für die Blockaden keine Baumaschinen geholt habe, antworten Vertreter von DOS, man sei nicht darauf gekommen.

„Das sind alles anfängliche Organisationsschwierigkeiten. Wir hoffen, dass der Protest in den kommenden Tagen massiver wird“, sagt Djordje Petrović, Vizepräsident der Demokratischen Alternative. Andere Vertreter der Opposition kündigen für Mittwoch eine ganztägige Blockade Serbiens an. Montag und Dienstag seien, genauso wie der Tag davor, lediglich eine Generalprobe gewesen.

Deren Bilanz fällt für die Opposition jedoch nicht nur negativ aus. Mittlerweile sind auch Universitäten, Theater, Kinos, einige Taxiunternehmen, die meisten Schulen und einige Fabriken bereits in einen Streik getreten. Auch das Personal des Wasserkraftwerkes Djerdap hat die Arbeit niedergelegt, die Elektrowerke rationieren bereits den Strom.

Allmählich jedoch fasst sich das Regime. Die „Assoziation freier und unabhängiger Gewerkschaften“ teilte mit, dass die neun Busfahrer, die den Verkehr in Belgrad blockiert hatten, verhaftet und zu fünfzehn Tagen Haft verurteilt worden seien.

Doch das größte Kopfzerbrechen bereitet Milošević und Co. der Streik in den Kohlenbergwerken Kolubara, Kostulac und Drmnis 30 Kilometer südlich von Belgrad, die die Kraftwerke mit Braunkohle versorgen. Die Polizei hat die Bergwerke umstellt, es jedoch nicht gewagt, gegen die 7.000 streikenden Arbeiter vorzugehen. Generalstabschef Nebojsa Pavković höchstpersönlich ging zur Belegschaft und versuchte auf sie Druck auszuüben, den Streik zu beenden. Die Arbeiter gaben nicht nach. In der Stadt Lazarevac ist eine große Anzahl von Militärpolizisten zusammengezogen.

Am Dienstagabend wandte sich Präsident Milošević an das Volk: „Schon ein Jahrzehnt versuchen einige Mächte des Westens, die Balkanländer ihrer Souveränität zu berauben“, begann Milo- šević seine Ansprache im staatlichen Fernsehen. Er bestätigte, dass am 8. Oktober die Stichwahl stattfinden würde. DOS habe die Aufgabe, im Auftrag der Nato Jugoslawien zu zerstückeln und eine Okkupation zu ermöglichen. DOS würde mit Geld aus dem Ausland die Bürger Serbiens erpressen und versuchen, das Land lahm zu legen. „Doch unser Staat hat seine eigene Verfassung und seine eigenen Gesetze“, sagte Milošević. Die Bürger müssten sich bewusst sein, dass sie die volle Verantwortung für ihr Leben übernehmen müssten, wenn sie bei solchen subversiven Tätigkeiten mitmachten.

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