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Ein Krieg geringer Intensität

Für die Menschen in Bunia sind die Frontlinien weit weg. Kämpfen müssen sie dennoch: um ihre Existenz und ihre Selbstbestimmung

aus Bunia LEVI OCHIENG

Über der kaputten Stadt hängen Staubwolken, Gestank liegt in der Luft. Jedes Motorrad und jedes Fahrrad, das die halb von Gebüsch überwucherten Straßen entlangfährt, wühlt den Sand auf. Andere Transportmittel gibt es kaum. Und wenn die Nacht hereinbricht, verschluckt Dunkelheit die Häuser. Strom gibt es hier nicht.

Dies ist Bunia, Hauptstadt des ehemals mächtigen Rebellenführers Ernest Wamba dia Wamba in der Demokratischen Republik Kongo. Wamba, einst Chef der größten kongolesischen Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), regiert heute nur noch eine Splittergruppe namens RCD-ML (Kongolesische Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung) in der äußersten nordöstlichen Ecke des riesigen Landes. Und selbst hier schwindet die Autorität des ehemaligen Universitätsprofessors und Historikers. Nicht nur, weil in diesem Teil des Kongo die ugandische Armee das Sagen hat.

Heute haben sich die Frauen von Bunia vor einem krümeligen Haus versammelt, das Wambas Büro beherbergt. Sie wedeln mit Palmblättern und Transparenten und protestieren gegen die Anwesenheit bewaffneter Milizen in der Stadt. Vor ihnen stehen schwer bewaffnete Soldaten in grünen Uniformen und Mützen, auf denen „Operation Kemia“ steht – Operation Frieden. Sie gucken tatenlos zu, während die Frauen singen und tanzen.

„Wir haben jahrelang unter den Kämpfen gelitten“, sagen die Frauen. „Wir haben unsere Männer verloren, unsere Kinder.“ Sämtliche lokalen Medien sind gekommen, um über die Demonstration zu berichten. Das örtliche Rebellen-Radio „Radio Candip“ überträgt live, das RCD-ML-Fernsehen wird die Bilder des Aufmarsches später in seinen Nachrichten bringen. Sonst passiert ja nicht viel in Bunia. Nachrichten von außerhalb kommen nicht in die Stadt. Die einzige Nachrichtenquelle für die Bevölkerung von Bunia sind alte Ausgaben ugandischer Zeitungen, die von Besuchern hinterlassen werden.

Am folgenden Abend hängt in Bunias heißestem Nachtklub mit dem schönen Namen „Exodus 2000“ ein Transparent an der Wand, auf dem in fehlerhaftem Französisch „Frohe Weihnachten“ steht. Die Feiertage sind zwar noch einige Monate hin, aber das hindert die Gäste nicht daran, sich begeistert zu betrinken. Seit dem Waffenstillstand im Kongo vom Juli 1999 betrinken sich hier Zivilisten und Rebellen gemeinsam. Die Frontlinie, die quer durch das Land geht und wo noch ab und zu gekämpft wird, ist Tausende von Kilometern weit weg.

Trotzdem kommt es immer wieder zu Spannungen. Die Frauendemonstration kam zustande, weil eine Gruppe von 300 meuternden Rebellen waffenklirrend in Bunia eingezogen war, um sich der ugandischen Armee zu stellen. Sie gehörten zu einer Splittergruppe, die sich von Wambas RCD-ML losgesagt und den bewaffneten Kampf gegen Wamba aufgenommen hatte. „Das sind Banditen“, hatte ein ugandischer Offizier behauptet, aber die „Banditen“ unter Führung eines Bosco Ntaganda überrannten eine Militärstation der RCD-ML und standen plötzlich 16 Kilometer vor Bunia, bevor die ugandische Armee ihnen ein Ultimatum setzte. Sie gaben auf – unter der Bedingung, mit dem Flugzeug nach Uganda ausgeflogen und militärisch ausgebildet zu werden. Vorher würden sie ihre Waffen nicht abgeben, sagten sie und liefen daraufhin mit voller Ausrüstung durch Bunia.

Ihrer Bitte wurde nachgekommen. Statt für die Meuterei bestraft zu werden, hat Uganda sie ausgebildet. Nun sollen sie als RCD-ML-Soldaten nach Kongo zurückgeschickt werden. Die Menschen in Bunia hätten es lieber gesehen, wenn den Meuterern vor den Toren der Stadt die Waffen abgenommen worden wären.

Die politischen Führer dieser Splittergruppe sind zwei ehemalige Freunde von Wamba und höchste Repräsentanten in dessen Regierung: Mbusa Nyamwisi und Tibasiima Atenyi Mbogenu. Letzte Woche kehrten sie nach Bunia zurück. Aber Wamba traut ihnen nicht. „Diese beiden sind nur an Geld interessiert!“, sagt er und spricht von der Unterschlagung von zwei Millionen Dollar. „Gier motiviert sie, keine Vision für die Befreiung des Kongo.“ Darum habe er sie ihrer Posten als Premier und Vizepremier enthoben. Gier und fehlende Visionen waren auch der Grund für Wamba, sich 1999 vom größeren, Ruanda-treuen Flügel der RCD zu trennen und mit Hilfe Ugandas seine eigene Gruppe zu gründen.

Die unter seiner Macht stehende Region um Bunia ist schwer zu regieren. Die Gegend liegt an der Grenze zu Uganda und ist deswegen für Ugandas Militär strategisch wichtig. Sie ist reich an Gold und zieht daher windige Geschäftsleute an. Sie ist groß und unwegsam – es dauert Tage, um von einem Ende des Wamba-Gebietes zum anderen zu reisen. Dabei wohnen hier nur nur vier Millionen Menschen.

Seit September 1998 sind über 5.000 Menschen bei Kämpfen zwischen den Volksgruppen der Hema und der Lendu ums Leben gekommen. Die Hema sind ein Hirtenvolk, eng verwandt mit Ethnien im Westen von Uganda und nach Meinung ihrer Gegner auch mit den ruandischen Tutsi. Sie übernahmen mit der Unabhängigkeit des Kongo 1960 Großfarmen der belgischen Kolonialherren. Die Lendu bilden die Mehrheit im Kampfgebiet. Sie sind mit Volksgruppen aus dem Sudan und dem Nordwesten Ugandas verwandt und leben meist als Kleinbauern. In den kriegerischen Auseinandersetzungen ging es fast immer um Landrechte. Viele befürchten, der Konflikt könne so blutig werden wie der zwischen Tutsi und Hutu in Ruanda und Burundi.

Die RCD-ML hat eine andere Erklärung für die Gewalt: Die Anwesenheit der eigentlich mit ihr verbündeten Armee Ugandas sei ein destabilisierender Faktor. Die Ugander griffen in das Wirtschafts- und Sozialsystem ein und störten das fragile ethnische Gleichgewicht. Hohe ugandische Offiziere hätten für Hema-Häuptlinge Partei ergriffen und auch für die jüngste Meuterei gegen Wamba.

Weil die ugandische Präsenz der Kongo-Region keinen Frieden gebracht hat, stößt sie auf immer größeren Unmut. Auch weil Ugandas Armee nicht effektiv eingreift, wenn es irgendwo Kämpfe gibt. Als zum Beispiel eine Gruppe von Milizionären das Dorf Kitoto 20 Kilometer vor Bunia angreift, Häuser anzündet und Menschen tötet, beschreibt Oberst Charles Angina, Kommandant der ugandischen Truppen in Bunia, sein Vorgehen so: „Wir haben 26 Brandstifter identifiziert und dies wird uns sicherlich an die Wurzeln dieser ethnischen Morde führen. Wir haben mit ihnen Protokolle gemacht und sie dann wieder laufen lassen. Das gibt uns Hinweise darauf, was los ist.“

Die Regierungsgebäude in Bunia sind Ruinen, in denen Beamte vor kaputten Schreibmaschinen aus der belgischen Kolonialzeit sitzen und Däumchen drehen. Zu tun haben sie nichts, Geld kriegen sie auch keines. Was in ihrem Verwaltungsbereich passiert, wissen sie nicht.

Konsumgüter gibt es allerdings genug in Bunia – alle aus Uganda importiert. Weil sich sogar einfache Rebellen über ihre Armut beschwert haben, hat Wamba eine Minenbrigade gebildet. Ihre Mitglieder schürfen Gold in Mombasa, Bafwasende und Banalya, und das Geschäft scheint gut zu gehen. Andere Soldaten handeln mit Elfenbein. Es gibt sogar eine Gruppe belgischer Diamantenhändler. Libanesische Geschäftsleute mit großen Packen Bargeld durchqueren dieses Gebiet Richtung Kisangani unter strenger Bewachung.

Die lokalen Verwaltungschefs und ugandischen Offiziere interessieren sich mehr für Gold als für die Menschen. Ob Krieg oder Frieden, ihnen ist das egal. Ugandas Kommandant Angina sagt, er habe soeben fünf neue Rebellenbataillone ausgebildet. Die Losung der Rebellen für die kommende Zeit lautet: „Krieg geringer Intensität“.

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