Aufruhr der Bürger zweiter Klasse

Jahrelang angestaute Wut der arabischen Bevölkerung Israels entlädt sich in gewaltsamen Solidaritätsdemonstrationen mit den Palästinensern. Dabei spielen soziale und religiöse Motive eine Rolle

JERUSALEM taz ■ „Es ist, als würden jetzt wir unter Besatzung fallen“, meint der Knesset-Abgeordnete der Vereinten Arabischen Liste, Hashem Machamid. „Wir werden behandelt, als seien wir keine Staatsbürger.“ Seit vergangenen Sonntag dauern die Solidaritätsdemonstrationen der arabischen Bevölkerung Israels an, bei denen auch mit scharfer Munition geschossen wurde. Neun Tote und mindestens 200 Verletzte sind die Bilanz der Unruhen in den vergangenen Tagen innerhalb der israelischen Staatsgrenzen. Die schlimmsten Ausschreitungen seit über 30 Jahren setzten sich auch gestern in Nazareth und dem arabisch-israelischen Um el-Fahm fort. Tote hatte es zuletzt 1976 gegeben, als die arabischen Israelis zum ersten Mal den Tag der Erde begingen.

Mehr als drei Stunden verhandelte Premierminister Ehud Barak gestern mit den Vertretern der arabischen Bevölkerung. Beide Seiten einigten sich auf die Einrichtung einer Untersuchungskommission, um das Verhalten der Polizei zu klären. Fortan soll zudem nicht mehr mit scharfer Munition geschossen werden.

Nach Ansicht des Parlamentariers Machamid spielten mehrere Gründe für die Unruhen zusammen. Auslöser sei zwar die Solidarität mit den Palästinensern jenseits der Grünen Grenze gewesen. Dazu komme jedoch, dass sich unter den arabischen Israelis eine „jahrelang angestaute Wut Luft macht“, darüber, dass man kein gleichwertiger Bürger sei. Niemand könne Solidarität mit dem Staat von ihnen verlangen, solange der Staat ihnen keine vollen Bürgerrechte eingestehe.

Die Regierung appellierte an die Bevölkerung in den arabischen Dörfern, die gewaltsamen Proteste einzustellen. Mit härterer Hand vorzugehen, forderte unterdessen der ehemalige Landwirtschaftsminister Rafael Eitan. Er schlug vor, den arabischen Dörfern Wasser und Strom abzustellen und den Einwohnern die soziale Versorgung zu versagen. Hier gehe es nicht um den Protest von Bürgern, sondern, „das ist ein Krieg um Eretz Israel“.

Auch Abgeordnete linker Parteien zeigten sich enttäuscht über das Verhalten der arabisch-israelischen Bevölkerung. Obschon er die Frustration angesichts jahrezehntelangen Benachteiligung verstehen könnte, so der Meretz-Politiker Ran Cohen, habe sich die Verwaltung in vielen arabisch-israelischen Städten und andernorts „verantwortungslos verhalten“. In Um el-Fahm, das derzeit von einem Bürgermeister der islamischen Bewegung verwaltet wird, war es im September vor zwei Jahren zu schweren Unruhen gekommen, bei denen mehrere hundert Menschen verletzt wurden. Damals war die staatliche Landenteignung Grund für den Protest.

Die arabischen Israelis, die heute rund 18 Prozent der israelischen Gesamtbevölkerung ausmachen, gehören zudem zu den Ärmsten im Land. Schlechtere Schul- und Ausbildungsbedingungen sind ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit in den Dörfern. Dazu kommt die Benachteiligung im Beruf. Jüdische Anwärter werden in der Regel ihren arabischen Kollegen bei Stellenausschreibungen und Beförderungen vorgezogen. Ganze Berufszweige, vor allem im Sicherheitsbereich aber auch bei öffentlichen Einrichtungen, sind den arabischen Israelis verschlossen. Dazu kommt eine ungleiche Rechtslage. Das Rückkehrrecht garantiert zwar allen Juden auf der Welt automatisch die Staatsbürgerschaft in Israel, die Familienzusammenführung bei den Arabern, die 1948 und 1967 getrennt wurden, funktioniert nur mühselig.

Gleichzeitig spielt auch der religiöse Faktor eine Rolle bei den jüngsten Demonstrationen. Die heiligen islamischen Stätten sind den Leuten aus Um el-Fahm genauso wichtig wie ihren Glaubensbrüdern in den palästinensischen Gebieten. Wenn es um Al-Aksa geht, wiegt die Glaubenszugehörigkeit offenbar schwerer als die Staatszugehörigkeit. Die Identifizierung mit dem Judenstaat wird den Arabern ohnehin nicht leicht gemacht, wenn schon in der Nationalhymne vom „Land Zion“ die Rede ist, wenn die Flagge den Davidstern trägt und wenn auch 50 Jahre nach Staatsgründung noch immer über eine Aufrechterhaltung der Jüdischkeit debattiert wird. SUSANNE KNAUL