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Prodi greift nach den Sternen

Grundsatzrede des Präsidenten der EU-Kommission: Die Macht der Regierungen will er einschränken, seine eigene und die des Parlaments aber stärken

BRÜSSEL taz ■ In seiner Bilanz nach dem ersten Jahr als EU-Kommissions-Chef hat Romano Prodi erstmals in die Erweiterungs- und Reformdiskussion eingegriffen. Mit ungewöhnlich scharfen Worten warnte er gestern vor dem EU-Parlament in Straßburg davor, die „bruchstückhafte und trügerische Regierungszusammenarbeit“ zu verstärken. Stattdessen müsse das Kräftegleichgewicht zwischen Rat, Parlament und Kommission konsequent weiter ausgebaut werden.

Zuvor hatte der französische Europaminister die Abgeordneten über den Stand der Reformverhandlungen informiert. Sie sollen bereits Anfang Dezember auf dem EU-Gipfel in Nizza abgeschlossen werden. Pierre Moscovici musste eingestehen, dass es bei der Frage, wie viele Stimmen jedes Mitgliedsland künftig im Rat haben soll, noch keine Fortschritte gebe. Was die Reform der Kommission angehe, wollten zwar alle eine handlungsfähige Struktur. Kein Land sei aber bereit, auf einen Kommissar zu verzichten oder über eine effektive Hierarchie unter den Kommissaren nachzudenken.

Romano Prodi machte im Gegensatz dazu in seiner Rede deutlich, dass eine Erweiterung der EU nach Osten nur funktionieren könne, wenn die Kommission mehr Kompetenzen erhalte. Mit mehreren Beispielen belegte er, dass der zwischenstaatliche Aktionismus der letzten Monate in eine Sackgasse geführt habe. „Die paradoxe Situation, bei der heute sogar die Arbeit der 15 Justizminister in so heiklen Bereichen wie dem Strafrecht und der polizeilichen Zusammenarbeit der Kontrolle des Parlaments und des Gerichtshofs entzogen ist, muss überwunden werden.“

Diese Kritik bezieht sich auf die Tatsache, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel von Tampere vor einem Jahr beschlossen haben, einen einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Das Parlament aber hat bis heute in innenpolitischen Fragen kein Mitentscheidungsrecht. Prodi äußerte sich auch erstmals deutlich zur Österreich-Politik der letzten Monate. Es dürfe nicht den Mitgliedsstaaten vorbehalten bleiben, über die Demokratie zu wachen – sie müsse auf allen Ebenen lebendig sein.

Nach Prodis Überzeugung besteht die Gefahr, dass die Europapolitik zersplittert wird. Einen Beleg dafür sieht er darin, dass die Mitgliedsstaaten einen Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, den „Mr. Gasp“, bestimmt haben. Xavier Solana habe in diesem Amt viel geleistet, er könne aber nur eine Übergangslösung sein. In Zukunft müsse die Außenpolitik von der Kommission gemanagt werden, sonst seien „die Rollen von Rat und Kommission vertauscht, was die Gefahr in sich birgt, beide zu schwächen und dem Parlament jede Macht zu nehmen“.

Mit dieser Haltung stellt sich Prodi erstmals deutlich hinter seinen Außenkommissar Chris Patten, der in den vergangenen Monaten mehrmals beklagt hatte, Solana mache seine Arbeit überflüssig. Auch die Finanzpolitik möchte Prodi zukünftig in die Kommission verlagern. Schließlich habe gerade der Disput um die Mineralölsteuer wieder gezeigt, dass Euro-zwölf-Gruppe und Ecofin-Rat „das Bild eines zögerlichen und kopflosen Europa“ vermittelten. Die Kommission müsse im Auftrag des Rates als wirtschaftspolitische Stimme der Union auftreten, so Prodi.

Im EU-Parlament wurde die Rede quer durch alle Parteien begeistert aufgenommen. Martin Schulz, der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten, freute sich, „dass die EU-Kommission endlich wieder die Initiative ergreift“. Der Chef der Liberalen, Pat Cox, schwärmte von einer „Glanzstunde“ des Europaparlaments. Der CSU-Abgeordnete Bernd Posselt sah die Rede als „gemeinsame Kriegserklärung“ von Parlament und Kommission gegen „undurchsichtige Mauscheleien der Regierungschefs.“

DANIELA WEINGÄRTNER

meinung SEITE 11

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