piwik no script img

Kreatives Lochmuster

Das Potenzial der Patchworklebensläufe: Auch wenn der rote Karrierefaden fehlt, muss man keinen Personalchef fürchten  ■ Von Sandra Wilsdorf

„Wie interessant“, „wie mutig“, „wie beneidenswert“, finden es fast alle Freunde, wenn man sich mit 25 auf den Weg zum Abitur begibt, mit 28 anfängt, Soziologie zu studieren und dann mit reifen 37 Jahren Examen macht, weil zwischendurch noch ein Jahr Nepal dran war. Oder den Bürojob an den Nagel hängt, zwei Jahre um die Welt reist und dann Orientalistik und Theaterwissenschaften studiert. Nur die Personalchefs, die ... Aber halt, da soll sich ja angeblich etwas geändert haben: „Solche Leute brauchen wir!“, heißt es neuerdings über Kletterer und Weltumrunder.

Wirklich? Oder doch nur die, bei denen sich karrieremäßiger Schnickschnack wie Weltoffenheit und soziale Kompetenz mit einem Einser-Diplom und einem Alter unter 30 trifft? „Hinter jedem blumigen Lebenslauf mit Lücken oder Umwegen steht ein positiver Sinn. Er überzeugt, wenn er erkannt und selbstbewusst vertreten wird“, sagt Beate Hugk. Sie berät und coacht in Sachen Laufbahngestaltung, Bewerbung, Weiterbildung – persönlich, per E-Mail und am Telefon. Dabei ist sie spezialisiert auf „Patchworklebensläufe“.

Denn sie hat selber einen: Beate Hugk hat als Cutterin zehn Jahre bei Film und Fernsehen gearbeitet. Dann aber war sie plötzlich allein erziehende Mutter von zwei Kindern mit einem viel zu stressigen Beruf. Also studierte sie Pädagogik und Geschichte und arbeitete drei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seit über zehn Jahren ist sie jetzt in der Erwachsenen- und der beruflichen Bildung von Jugendlichen tätig. Außerdem arbeitet sie seit 17 Jahren in einem Projekt, das in Forschung und Bildungsarbeit die NS-Verfolgung und die sogenannte Wiedergutmachungspolitik thematisiert und eine Beratungsstelle für NS-Verfolgte eingerichtet hat. Sie hat ein Projekt für Frauen, die den Wiedereinstieg ins Berufsleben suchen, aufgebaut und sich vor vier Jahren mit „Berufsplanung Direkt“ selbstständig gemacht. In ihrem Altonaer Büro berät sie seitdem Menschen wie sich selbst: „Menschen, deren berufliche Entwicklung eher kreativen Lochmustern als roten Karrierefäden gleicht.“

Der Verein „Frau und Arbeit“ hat ihr seinen Bewerbungsbereich übertragen, aber sie bietet auch Einzelberatungen an. Die kosten, gestaffelt nach Einkommen, ab 70 Mark die Stunde. „90 Prozent meiner Kunden sind Akademiker, im Durchschnitt sind sie Ende 30.“ Ein Drittel etwa sucht einen Job, zwei Drittel haben einen, wollen aber einen anderen oder aufsteigen. Beate Hugk steht immer auf der Seite ihrer Kunden, versucht nicht, sie passend zu machen, sondern etwas für sie Passendes herauszufinden.

„Die meisten Absagen handelt man sich ein, weil man sich auf Stellen bewirbt, die nicht zu einem passen.“ Wem jahrelanges Reisen wichtiger war als der schnelle Studienabschluss, der passe eben nicht auf eine Ausschreibung, die den 25-jährigen Jungmanager verlangt. Und das aus gutem Grund: „Die meisten Lebensläufe haben sehr wohl eine Linie, aber die liegt dann eben im Persönlichen“. Die gilt es herauszufinden und zu vertreten. Denn: „Können ist gut, Persönlichkeit überzeugt“, ist Hugks Maxime.

Dabei verspricht sie jedoch nicht, Träume von jetzt auf gleich wahr zu machen: „Bei den Träumen muss man genau gucken, warum sie jemand nicht realisiert hat.“ Manchmal gebe es dafür gute Gründe, und manchmal stelle sie fest, dass Teile des Privatlebens sich schon jetzt mit diesem Traum verbinden lassen. Indem ein Lehrer, der sich als Schauspieler sieht, eine Fortbildung in Theaterpädagogik oder eine Ausbildung in Psychodrama mache, werte er auch seine gegenwärtige Situation auf. „Ich zeige die lebbaren Teile des Traumes .“ Überhaupt hätten viele Menschen ein kreatives Potenzial, aus dem sich etwas machen ließe. „Aber viele sind sich dessen nicht bewusst.“ Oder nehmen ihr Talent nicht ernst, weil es nicht zum Star reicht.

Hugk hilft auch beim Bewerben. „Viele Leute können sich den Adressaten nicht vorstellen.“ Sie analysiere dann die bisherigen Bewerbungsaktivitäten unter der Fragestellung, warum es nichts geworden ist. „Ich baue die Leute auf, zu sich zu stehen und sich vom Anpassungsdruck nicht verunsichern zu lassen.“

Beate Hugk, 390  09 52, bietet am 14./15. Oktober das Seminar „Strategien für den Quereinstieg“, am 28./29. Oktober „Bewerbungstraining für den Quereinstieg und Menschen mit Patchworklebensläufen“ an. Sie kosten jeweils 160, ermäßigt 110 Mark.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen