: Elektroschock an Graben 17
Weil das GVZ wächst, müssen Fische umziehen / Elektrofischer Rüdiger Droste bemüht sich, auch den letzten Schlammpeitzger zu retten ■ von Nikolai Wolff (Fotos) und Milko Haase
Der Schlammpeitzger. Fast hätten wir ihn schon wieder vergessen. Im Frühjahr vom Bürgermeister unsanft ans Licht der Öffentlichkeit befördert – Scherff wollte die Peitzger von Hechten auffressen lassen, um Platz für das Container-Terminal 4 zu bekommen –, ist der heimliche Kleinfisch als Medienthema abgetaucht. Doch die Ruhe trügt. Schlammpeitzger leben gefährlich.
„Leck mich am Arsch!“ schimpft Rüdiger Droste, 41, und stochert im schlammigen Wasser eines Grabens im Niedervieland. Wieder ist ihm ein Schlammpeitzger entwischt. „Undankbare Aufgabe“, beschwert sich der freischaffende Biologe. Kaum hat Droste eines der raren Tiere aufgespürt, macht es das, was sein Name ihm aufgibt: Es bohrt sich in den Schlamm. Trotzdem hat der Mann am Kescher bereits zehn Exemplare gefangen. Drostes Trick: Er fischt mit elektrischem Strom.
Demonstration an Graben 17. Der Biologe pirscht durch die Binsen. Im Hintergrund knattert der Generator. Ein Elektrokabel führt in den meterlangen Kescherstiel, das andere hängt in einiger Entfernung ins Wasser. Und was macht Droste? Er führt den Kescher – groß wie ein Basketballkorb, aber mit flachem Netz – mit kreisenden Bewegungen über die Wasseroberfläche. Er rührt konzentriert durch Froschbiss und Wasserpest. Fährt an Krautkanten entlang. Und plötzlich: Wie aus dem Nichts erscheint ein Fisch und wird ins Netz gezogen. Magie!
Zum zwölften Mal ist Droste jetzt für das Hansestadt Bremischen Hafenamt im Gebiet zwischen dem Güterverkehrszentrum und dem Neustädter Hafen unterwegs. Bis 2010 soll die Gewerbefläche um insgesamt 150 Hektar wachsen und damit bis zur Senator-Apelt-Straße reichen. Man hat bereits damit begonnen, das Gebiet auf vier Meter über NN „aufzuhöhen“. Die Kleingewässer gehen verloren. Elektrofischer Droste soll ihre Bewohner retten.
Warum seine Fangmethode so gut funktioniert, ist dem Biologen zufolge im Kern immer noch ein Rätsel. Es fallen Stichworte wie „anodische Schwimmbewegungen“ und „Elektronarkose“. Fakt ist, dass „gut geglätteter Gleichstrom“ (Fachpresse) den Wassertieren einen Impuls gibt, sich selbst ins Keschernetz zu befördern. Das elektrische Feld entsteht zwischen dem Kescher (Anode) und der kupfernen Gegenelektrode im Wasser (Kathode). Da die Fische nur kurze Zeit betäubt sind, gilt diese Fangmethode als besonders schonend. Droste, der seit Mitte der 80er Jahre einen staatlichen Elektrofischereischein hat, ist gelernter Elektriker.
Seine Arbeitskleidung: Grüne Wathose, eine knallrote Schirmmütze gegen störendes Sonnenlicht und eine Spezialbrille, die die Wasserspiegelung aufhebt. Seine Mannschaft: Kabelträger Stefan Wittig, am Eimer Jörg Bierwirth, und – ganz wichtig – „unser Totmann“ Jürgen Lange. Letzterer trägt Sorge dafür, dass der Droste nicht seiner eigenen Fangmethode zum Opfer fällt. Der Mann fischt schließlich mit zehn Ampere. Soviel braucht auch ein Anlasser. „Totmann“ Lange hält einen gleichnamigen Schalter in der Hand, mit dem er den Kescher mit Strom versorgt, sobald dieser im Wasser ist. Sollte der Biologe ausrutschen – und das wäre nicht gut – unterbricht der Kollege am Schalter sofort die Leitung.
„Vierzig bis sechzig Prozent der Fische kriegt man im ersten Durchgang“, erklärt Droste, der einen Graben bis zu viermal abfischt, um möglichst viele seiner Bewohner zu retten: kleine Hechte, Aale, Schleien in jeder Größe, Karauschen und – Schlammpeitzger. Für den Biologen haben die kleinen Entwässerungsgräben eine große ökologische Bedeutung – etwa als Kinderstube für die Fische. Hat Droste sie erwischt, kommen die Tiere zuerst in einen schwarzen Mörteleimer und danach in einen großen Trog. Später fahren sie im VW-Bus zu ihren neuen Heimatgewässern. Als Ausgleich für die Graben-Vernichtung werden alte Gräben in Niedervieland reaktiviert.
Der Schlammpeitzger. Um den merkwürdigen Typen – Darmatmung, Fransenmund – zu fangen, muss Droste bis zum Bauch in den Modder. Endlich fängt der Elektrofischer Exemplar Nummer elf, und das an einer Stelle, wo es sonst kein Fisch mehr aushält – Sauerstoffmangel. Gut sieht er aus, der kleine Edel-Ökologe (Rote Liste, FFH-Kandidat): Die Flanken sind gestreift, messingfarben und tarnbraun, das Maul voller empfindsamer Barteln. Und zappelig ist er. Manchmal spreche der Schlammpeitzger auch mit einem, sagt Droste. Das ist dann der Darm. Und: Es wird berichtet, dass Hechte den Fisch wieder ausspucken würden. Wenn das der Bürgermeister gewusst hätte.
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