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Der diskrete Charme der Anonymität

Von der Taille zum Knick: Das Berliner Designerduo Vogt + Weizenegger kreiert Alltagsgegenstände. Manchmal kooperieren sie dabei mit Produzenten, ein anderes Mal sind sie selbst die Hersteller. Oder sie liefern nur die Baupläne für ein Möbelstück

von MICHAEL KASISKE

Tassen und Gläser, Bestecke und Küchengeräte – täglich nehmen wir solche Alltagsgegenstände in die Hand. Doch in den Mittelpunkt ästhetischer Betrachtung werden sie selten gerückt. Alltag hört sich fade an, und der Begriff scheint nichts mit der promiskuitiven Design-Welt gemein zu haben, in der ein Gegenstand vom nächsten überlagert wird.

Gerade da setzen Vogt + Weizenegger an. Nicht von den handwerklich hergestellten Produkten der „Imaginären Manufaktur“, mit dem das Berliner Designerduo seit 1998 international Furore macht, ist die Rede; mit Recht ist diese Kollektion für die Blindenanstalt, mit der das 120 Jahre alte Unternehmen in das Marktsegment der Designobjekte eingeführt wurde, als „soziales und ästhetisches Design“ gelobt worden. Nein, hier soll die Gestaltung von maschinell gefertigten Gebrauchsgütern im Mittelpunkt stehen.

Zum Beispiel ihre Glaskollektion Pure Glass. Der Bezug zu dem berühmten Industriedesigner Wilhelm Wagenfeld, der dieses Jahr hundert geworden wäre, ergibt sich unmittelbar: Einmal durch das feuerfeste Borosilikat-Glas aus Jena, das Wagenfeld schon für Teegläser und Kochgeschirr verwendete; des Weiteren folgten Vogt + Weizenegger seiner Entwurfstradition, indem sie Pure Glass als eigenständige Produktfamilie konzipierten, bei dem alle Teile zueinander passen; und darüber hinaus die Verengung in der Mitte der Gefäße, die an das berühmte Salz-und Pfefferstreuer-Paar „Max & Moritz“ erinnert. Dieser Assoziation gibt Hermann Weizenegger, der seit sieben Jahren mit Oliver Vogt das Designbüro betreibt, gleich die richtige Wendung: „Bei Wagenfeld ist es eine Taille, bei uns ist es ein Knick.“

Neben den offensichtlichen Bezügen zum Werk Wagenfelds bedeutet Pure Glass eine Auseinandersetzung der beiden Designer mit den Bedingungen der Gestaltgebung. Vor allem die Trennung von Design und Produktionsprozess ist ein entscheidender Unterschied zur Arbeit des Formgebers in den Dreißigerjahren. „Wagenfeld konnte sich entwickeln, weil er im Werk stand“, sagt Weizenegger, „das heißt, wenn der Ofen aufging, stand er als erster da und hat die Form in die Hand genommen. Heute ist es nicht selten so, dass Designer auf die Messe kommen, um ihr Produkt anzuschauen.“

Aus diesem Grund war es eine Voraussetzung für Pure Glass, dass Vogt + Weizenegger die Herstellung in Jena genau erkundeten, um Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung einschätzen zu können. Da heute nicht mehr die hohen Stückzahlen wie zu Wagenfelds Zeiten produziert werden, entwickelten sie eine modifizierbare Form. Die speziell für eine Form und ihre Teile gefertigten Werkzeuge verursachen erhebliche Kosten, die sich mit einer überschaubaren Auflage nicht amortisieren lassen.

Die Kollektion Pure Glass hat vier „Taillen“-Knickhöhen, die stets Schrägen von 10 Grad aufweisen. Obwohl Vogt + Weizenegger die Formattribute reduzierten, erreichen sie eine Palette von fünfzehn verschiedenen Produkten: Wird eine Schlaufe gezogen, ist es ein Krug, wird eine Skala draufgedruckt, ist es ein Messbecher; wird ein Henkel drangemacht, ist es eine Tasse. „Diese Vielfalt aus einer Form war das Besondere an dem Konzept“, berichtet Weizenegger, „selbst die Jenaer Fachleute waren überrascht.“ Umgedreht mit einer Fassung und einem Loch im Boden für das Kabel gibt es Pure Glass auch als Leuchte – eine kecke Überhöhung.

Bereits mit ihrem ersten Projekt „Blaupause“ haben die Designer einen erstaunlichen Coup gelandet: Statt eines fertigen Möbels haben sie die Baupläne geliefert. Dahinter stand der Gedanke des „Ready made“-Objekts, zu dem die Designer lediglich den Zugang bereitstellen; der Verbraucher geht mit der Einkaufsliste in den Baumarkt und baut das Erworbene selbst zusammen.

Durch ihren Ansatz fanden Vogt + Weizenegger eigene Wege außerhalb des konventionellen Produktionsprozesses. Manchmal in Kooperation mit Produzenten, manchmal in Eigenregie – das Produkt steht zwar im Mittelpunkt des Projekts, doch ihre Arbeitswelt weiten sie etwa mit PR und Marketing deutlich aus und fassen es mit dem Begriff des „Entrepreneurs“: „Einer, der mal mit einem Produzenten arbeitet, mal selbst Hersteller ist“, führt Weizenegger aus, „einer, der sich in verschiedene Rollen hineinversetzen kann.“

Wesentlich bleibt der Anspruch an die Form. Weizenegger kommt wieder auf den Meister zurück, der unser Gespräch durchzieht: „Bei der Auseinandersetzung mit Wagenfeld haben wir den klassischen strengen Formgeber gespürt. Wagenfelds Witwe hat mir erzählt, dass sie Proband war, als er neue Henkel entworfen hatte. Sie musste diese mit geschlossenen Augen in die Hand nehmen, um zu erfühlen, welcher am angenehmsten zu greifen ist.“

Eine solche totale Auseinandersetzung mit der Form sei bei der aktuellen Kurzlebigkeit kaum durchzuhalten, bedauert er. Doch Pure Glass besteht etwa aus Objekten, deren Charme aus der Anonymität entwickelt wird und die sich damit die Kultur der namenlosen Gebrauchsgegenstände zu eigen machen: Kommunikationsangebote, Hintergründe, in wohltuender Form alltäglich.

Produkte von Vogt + Weizenegger gibt es u. a. bei Authentics, Neue Schönhauser Straße 19, Berlin-Mitte, www.authentics-shop.comDie Objekte, die für das Projekt „Die imaginäre Manufaktur“ gefertigt wurden, sind über die Blindenanstalt zu beziehen, Oranienstraße 26, Berlin-Kreuzberg, www.blindenanstalt.de

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