Aktien lassen die Verhältnisse tanzen

■ Aber nicht so, wie Kirchen und Gewerkschaften wünschen / Diskussion über neue Märkte und alte Hoffnungen im Forum Kirche

„Wer von Ihnen hält denn Aktien?“ Zögerlich heben sieben der etwa 30 Anwesenden die Hand. Das entspricht dem Durchschnitt der Republik. Rund 20 Prozent aller Deutschen, so Bernd Graul, RB-Moderator des Streitgesprächs „Aktionäre aller Länder – vereinzelt Euch“ investieren in Aktien. Tendenz steigend.

Was hat es auf sich mit dem Börsenfieber, das auch in den Wohnzimmern der kleinen Leute Aufstiegsträume gebiert? Wird Reichtum solcher Art ganz neu verteilt? Wird die Rente demnächst an der Börse erzockt? Oder läuft alles, wie ein Teil der Diskutanten meinte, nur auf eine „Entsolidarisierung auf finanziell gehobenem Niveau“ hinaus? Diesen Fragen nachzugehen, hatten das evangelische Bildungswerk und der Arbeitskreis „Global Fatal“ am Freitagabend ins Forum Kirche geladen.

Einige Antworten waren schnell gegeben: „Aktien sind immer noch eine Anlageform der Reichen“, sagt Franz-Josef Leven, Vertreter des Deutschen Aktieninstitutes, eines Lobbyisten-Verbandes der Banken, Börsen und Aktiengesellschaften. Die neuen Tellerwäschermythen betreffen kaum eine handvoll Leute. Aber Leven redet auch aus Selbstschutz so: Das Kleinvieh der Aktionäre macht eben auch viel Mist und lässt mit (vor)schnellen Entscheidungen die Märkte noch unübersichtlicher werden.

Barbara Dribbusch, taz-Wirtschafts-Redakteurin, hat die Zahlen parat: Nur 7,2 Prozent der Aktien werden von Einkommen unter 3.500 Mark gehalten, knapp die Hälfte von Leuten, denen monatlich mehr als 10.000 Mark zur Verfügung stehen. Die Empfänger staatlicher Leistungen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind vom Aktienboom ausgeschlossen: Sie dürfen gar kein Kapital bilden. Allerdings: Jeder ist sich selbst der nächste, für eine individualisierte Gesellschaft, so Dribbusch, ist „die Aktie die perfekte Anlageform“.

Der IG Metaller Bernd Schuhl formuliert etwas volkstümlicher: „Wer nicht mindestens 10.000 oder 20.000 Mark zum verdaddeln hat, braucht mit dem Scheiß gar nicht erst anzufangen.“ Mit der Kehrtwende der IG Metall-Spitze, die sich mittlerweile doch Aktienoptionen als Ausgleich für entgangene Tarifsteigerungen vorstellen kann, kann Schuhl überhaupt nichts anfangen: „Dann müsste ich mich ja gleich selbst entlassen, damit meine Firmenaktie steigt“, witzelt er. Aber in Wirklichkeit ist er natürlich nicht amüsiert von den neuen Ideen zur Überwindung der Sozialpartnerschaft. „Die Demontage des Sozialstaates durch die Begünstigung privater Vorsorge, der Angriff auf die solidarischen Renten- und Krankenversicherungssysteme hat verheerende Folgen.“ Die Aktie steigt, wenn der Gewinn steigt und das ist der Fall bei Rationalisierungen und sogenannter Marktbereinigung. „Ich arbeite bei der Stahlwerke GmbH, die Konzern-Aktien werden in London gehandelt, und dort drängen die Herren mit den größten Aktienpaketen auf die Schließung des Stahlwerks in Bitterfeld, weil das Überangebot an Stahl auf die Märkte drückt. Als Aktionär müsste ich das begrüßen, anstatt mit den Kollegen solidarisch zu sein.“

Eine 50-Jährige aus dem Publikum macht auf einen entscheidenden Denkfehler aufmerksam. „Mit mir als Frau und immer mal wieder Arbeitsloser war das alte System nicht grade solidarisch.“ Demnächst hat sie einen gut bezahlten Honorarjob und davon wird sie monatlich ein paar hundert Mark in Aktien anlegen. Die letzte Chance, ihre Rente noch aus eigenen Kräften zu heben. hey