: Jetzt droht die Kohabitation in Jugoslawien
Milošević am Ende? Vorsicht – seine Partei kontrolliert weiterhin das jugoslawische Parlament und nicht nur die Polizei, sondern auch die wichtigsten Institutionen Serbiens
BERLIN taz ■ Die Erleichterung war Robin Cook nach seinem Gespräch mit Jugoslawiens neuem ersten Mann Vojislav Koštunica anzumerken. „Nach dem, was ich von Koštunica gehört habe, bin ich in meiner Einschätzung bestärkt, dass Milošević keine Pläne hat, künftig im öffentlichen Leben eine Rolle zu spielen“, sagte der britische Außenminister. Doch womöglich könnten Koštunica und die internationale Gemeinschaft die Rechnung ohne Milošević gemacht haben. Denn der gerade abgehalferte Staatschef kündigte am Wochenende an, nach einer kurzen Auszeit wieder seine Sozialistische Partei SPS aktiv unterstützen und stärken zu wollen.
Einmal abgesehen davon, dass ein ehemaliger Diktator als Oppositionsführer eine Premiere im ehemals kommunistischen Teil Europas wäre: Gänzlich undenkbar ist dieses Szenario nicht. Und wieso eigentlich Opposition? Vielmehr könnte dem Land eine Kohabitation der besonderen Art ins Haus stehen. Immerhin hat die Milošević-Partei SPS im Verbund mit der Jugoslawischen Linken (JUL) von Milošević-Gattin Mira Marković im serbischen Parlament eine satte Mehrheit und kontrolliert die serbische Regierung. Die Tatsache, dass die Polizei dem serbischen Innenministerium untersteht, könnte, trotz ihres Stillhaltens am Tag des Aufstandes und der Fraternisierung mit den Demonstranten, künftig für den neuen Machthaber zum Problem werden.
Die gleichen Machtverhältnisse wie in Serbien selbst gelten auch für das föderale Parlament, das überdies noch der neuen, von Koštunica gebildeten Regierung zustimmen muss. Diesen Einfluss werden Milošević und seine Getreuen ausnutzen, wohl wissend, dass der neue Präsident nicht um sie herumkommt.
Nach der geltenden Verfassung hat ein Montenegriner Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten. Da aber die montenegrinischen Gegner von Milošević die Wahlen boykottiert hatten, kann nur ein Pro-Milošević-Politiker aus Montenegro an die Spitze des Kabinetts treten. Das hat die Milošević-treue Sozialistische Volkspartei Montenegros (SNP) durch ihren stellvertretenden Chef Predrag Bulatović bereits an die Adresse Koštunicas ausrichten lassen.
Auch wenn damit derzeit für die Sozialisten und ihre Verbündeten die Chancen gut stehen, weiter im politischen Tagesgeschäft mitzumischen, könnten einige innerparteiliche umtriebige Kräfte die Gunst der Stunde nutzen und durch einen Dolchstoß aus den eigenen Reihen Milošević’ weiteren Ambitionen ein vorzeitiges Ende bereiten.
Doch dafür dürfte die Motivation im Moment eher gering sein. Zu tief sind viele Exponenten der Partei noch äußerst profitabel in das System Milošević verstrickt, zu eng ihr Schicksal mit dem des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs verbunden – was sie jedoch nicht daran hindern dürfte, in den zurückliegenden Jahren ihre Barschaften ins Ausland zu befördern. Das gilt etwa für Nikola Šainović, derzeit noch stellvertetender Premierminister Jugoslawiens und bislang offizielles Sprachrohr von Milošević, genauso wie für den derzeitigen serbischen Präsidenten Milan Milutinović.
Überdies besteht kein Handlungsbedarf, sich überstürzt von Milošević loszusagen. Im Land besteht Konsens darüber, Milošević nicht an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auszuliefern. Auch ein Prozess vor einheimischen Gerichten steht für Präsident Koštunica wohl nicht an erster Stelle auf seiner Tagesordnung. Doch wer weiß: Vielleicht hätte er sich mit seiner Absage an Den Haag doch besser etwas zurückhalten sollen. BARBARA OERTEL
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