: Vom Nutzen der Straßenkämpfe
Präsident Arafat unterstützt die Tansim, eine Gruppe der Fatach, mit Waffen – trotz begrenzten Einflusses
JERUSALEM taz ■ Sie sind Absolventen der Intifada, geschult auf den Straßen im Gazastreifen und Westjordanland und in israelischen Gefängnissen. Die Aktivisten der Tansim (zu deutsch: Organisation) sorgen in diesen Tagen erneut für Unruhen. Doch diesmal werfen sie nicht mehr nur Steine, sondern sie schießen mit scharfer Munition.
Rund 70 Todesopfer hat die Tansim innerhalb von nur einer Woche zu verbuchen. Wo Palästinenser schießen, ist mit neuen Toten im eigenen Lager zu rechnen, denn die Israelis lassen keinen Angriff unbeantwortet. Dennoch setzt die Tansim ihre Aktionen gegen israelische Militärs und jüdische Siedler in den palästinensischen Gebieten fort.
Jeder Fatach-Aktivist, der im Gefängnis saß, wird automatisch Tansim-Mitglied. Die Tansim übt auch auf jüngere Leute, die die Intifada nur noch als kleine Kinder erlebt haben, Anziehungskraft aus. Besonders intensiv sind die Aktivisten an den Hochschulen tätig. In den Ferien hält die Tansim Sommerlager mit militärischem Drill, Schießübungen, Nahkampf und Erste-Hilfe-Schulungen ab. Eine Übung: simulierte Stürmung eines Armeekontrollpunktes.
Im Gegensatz zur politischen Führung im Autonomiegebiet, die nach Jahren des Exils fast komplett aus dem Ausland in die palästinensischen Gebiete zurückkam, waren die Angehörigen der Tansim stets in ihrer Heimat aktiv. Sie organisierten vor allem in den Flüchtlingslagern die Propaganda und Aktionen der Fatach, der Partei Arafats, und sorgten darüber hinaus für die Schulbildung und zum Teil auch für die soziale Versorgung der Leute in den Lagern. Die Organisation von Terrorattentaten fand zwar überwiegend im Ausland statt, dennoch verfügte die Fatach-Jugend vor Ort über einen militärischen Arm. Aus der Gruppe „Force 17“, die für militärische Aktionen zuständig war, wurde später der palästinensische Sicherheitsdienst zum Schutz Arafats.
Seit den Osloer Verträgen von 1993 existiert die Tansim, die heute einige zigtausend Angehörige hat, parallel zu den offziellen Sicherheitsdiensten. Marwan Bargouti, der Generalsekretär der Fatach im Westjordanland und Abgeordneter der Autonomiebehörde, gilt als Chef der Tansim. Er war einer der führenden Köpfe der Intifada und verbrachte sechs Jahre in israelischer Haft. Trotz der Nähe zur Führung beharrt der Tansim-Kommandant auf den Unterschieden zwischen den beiden Gruppen. Unter Israel verstünden die Hiergebliebenen und die, die aus dem Exil kamen, zwei verschiedene Dinge, meint Bargouti. „Für sie war Israel über Jahre ein Bild an der Wand. Für mich ist es ein Staat auf dem Boden.“ Dennoch unterstützte Bargouti die politische Linie der Führung. „Wir sind in jeder Beziehung für Oslo“, hatte er, unmittelbar nach der Rückkehr Arafats nach Gaza, erklärt.
Dass die ehemaligen Intifada-Aktivisten außen vor blieben, als es galt, den Führungsstab der Autonomiebehörden zu formieren, sorgte für reichlich Verbitterung unter den Tansim-Angehörigen. Den „Kollegen“ in Uniform geht es besser: regelmäßige Gehälter, Ränge. Dem entgegen sind die Tansim-Angehörigen auf guten Willen angewiesen, wenn es um Bewaffnung und finanzielle Unterstützung geht. Zudem hatten die jungen Intifada-Kämpfer Probleme mit dem autoritären Führungsstil Arafats. Sie glaubten – nicht ganz zu Unrecht –, dass sie mit ihrem Volksaufstand, die Rückkehr des „Rais“, des Präsidenten, erst ermöglicht hatten, und nun dankte er es ihnen nicht. Wenig verwunderlich ist deshalb, dass die Männer, die heute zwischen 25 und 35 Jahre alt sind, stets auf Abruf bereitstehen und jede Gelegenheit wahrnehmen, um die Lage außer Kontrolle zu bringen: Im Chaos kommen die Autoritäten ins Wanken.
Jassir Arafat hat auf diese Gruppe der Fatach nur begrenzten Einfluss. Dass er sie dennoch mit Waffen und Munition versorgt, zeigt, so glauben israelische Militärs, dass er sich aus den Straßenkämpfen politischen Nutzen und künftig mehr Einfluss auf die Tansim erhofft. SUSANNE KNAUL
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