: Ausgezeichnete Cineasten
Heute wird der Filmverleih Neue Visionen von Kulturstaatsminister Michael Naumann für seine engagierte Arbeit prämiert. Hinter dem Projekt stehen Wulf Sörgel und Torsten Frehse, zwei junge Cineasten, die mit dem Lichtblick-Kino bekannt wurden
von GEREON ASMUTH und DETLEF KUHLBRODT
Am Rande des LSD-Viertels freuen sich die Mitarbeiter des „Neue Visionen Filmverleihs“. Erst wurde „Totale Therapie“, der schöne Film mit Blixa Bargeld, Sophie Rois und Lars Rudolph, der zwei Jahre lang keinen Verleih hatte, zu einem unerwarteten Erfolg. Allein in Berlin haben ihn schon von mehr als zehntausend Leuten gesehen. Und heute nun bekommt der 1997 gegründete Filmverleih aus der Schliemannstraße in Prenzlauer Berg auch noch einen von drei mit 200.000 Mark dotierten Verleiherpreisen des „Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien (BKM)“ verliehen.
„Mit ‚Neue Visionen‘ wird ein junger Verleih ausgezeichnet, der mit hohem Risiko, Wagemut und ohne jegliche Förderung den Kinos ein ausgezeichnetes und anspruchsvolles Programm offeriert, das seine Akzente auf den deutschsprachigen und osteuropäischen Film setzt“, heißt es in der Begründung.
„Eine hochgradige Anerkennung“ sei das, meint Torsten Frehse, der heute die Ehrung von Staatsminister Michael Naumann in Bonn offiziell in Empfang nehmen wird. Und „heilfroh“ sei er. Nicht nur über den Geldsegen. Denn wo der recht begüterte und ebenfalls mit einem Preis bedachte Filmverleih „Arthaus“, der die DOGMA-Filme herausbrachte, „vielleicht den Kinostart eines halben Films“ mit dem Geld finanzieren kann, „sind das für uns mindestens fünf Filme“, freut sich Frehses Kompagnon, der 28-jährige Wulf Sörgel. Fünf Filme sind für den kleinen Verleih schon fast ein Jahresprogramm.
„Heilfroh“ ist Frehse auch, weil er den Preis von Naumann bekommt und nicht mehr – wie es noch vor zwei Jahren der Fall gewesen wäre – vom damaligen CDU-Innenminister Manfred Kanther. Der hätte auch noch weniger zur Geschichte der Neuen Visionen gepasst.
Aus einem gescheiterten Hausprojekt war 1993 eine Gruppe junger Utopisten übrig geblieben, die „in kollektiven Strukturen an politischen Inhalten“ weiterarbeiten wollten, erzählt Frehse. Die Idee, dass das über Kino laufen könnte, sei erst später dazugekommen.
Im bürgerbewegten Haus der Demokratie begann die Gruppe mit Filmreihen. Doch „RAF, Hausbesetzer, Anti-AKW und solche Sachen“ waren Frehse bald zu wenig. Politik sei nicht alles. Im Kino gehe es schließlich auch um Ästhetik und Emotionen. Das seien die drei Facetten, die Filme so interessant machten, dass sie ins Programm kommen. Zunächst ins Programm des bis heute kollektiv betriebenen kleinen Lichtblick-Kinos in der Kastanienallee. Seit 1997 auch ins Programm der „Neuen Visionen“.
„Als Kinomacher haben wir uns zunächst durch die Filmgeschichte gekämpft“, erzählt Frehse. Surreales von Buñuel und Sozialistisch-Realistisches von Eisenstein etwa. „Wir kamen aus dem Osten, waren zu Wendezeiten erst 16, 17 Jahre alt und hatten einfach einen Nachholbedarf.“ Den Verleih gründeten die Cineasten, als sie merkten, dass bestimmte Klassiker am Markt einfach nicht vorhanden waren. Vor allem die „radikalsten und interessantesten, inhaltlich wie ästhetisch“, ärgert sich Frehse. Bis heute werde etwa kein Godard-Film angeboten.
Als Erstes gruben sie „Black Moon“ aus, ein fast vergessenes Werk des französischen Regisseurs Louis Malle. Doch Sörgel und Frehse wollten kein Filmmuseum aufbauen. Schon der zweite Film des Verleihs war ein aktueller: Das Roadmovie „Suzie Washington“ erzählt die Geschichte einer Russin, die auf der Flucht nach Amerika in Österreich hängen bleibt.
Etwa acht Filme haben sie seither pro Jahr ins Programm genommen. Das Preisgeld wird die Arbeit der engagierten Verleiher erleichtern. „Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen“, gibt Frehse zu. Bisher hatten sie ohne öffentliche Förderung gearbeitet, auch um zu zeigen, dass eine alternative Ökonomie möglich ist. Die Annahme des Preisgeldes sei dazu kein Widerspruch, meint Frehse. Erstens würden sich alle linken Kinomacher das Geld abholen. Und außerdem sei man damit noch lange nicht auf der Spur professioneller Verleiher, die bei jedem Film von vornherein Subventionen einplanen würden.
Bislang waren Sörgel und Frehse oft nächtelang durch die Straßen gezogen, um Filmplakate zu kleben. Eine frustrierende Arbeit, denn wenn sie gegen drei Uhr morgens mit dem Plakatieren fertig waren, fingen die Plakatierungsfirmen erst an und überklebten ihre Plakate. Damit soll nun jedenfalls erst mal Schluss sein. Das Plakatekleben wird ab sofort delegiert.
Am Montagmorgen um neun im Büro zu sein, ist mein Hauptproblem, sagt Torsten Frehse. Denn bis zum Abend sitzt er im Büro, telefoniert, raucht, trinkt Kaffee und kümmert sich in „Leerphasen“ um den nächsten Film. Danach geht's ins eigene kleine Lichtblick-Kino oder man fährt durch die Gegend, um die Premieren der eigenen Filme zu betreuen – für besonders sorgfältige Betreuung ist „Neue Visionen“ berühmt – und besucht natürlich auch diverse Festivals, um dort die eigenen Filme zu unterstützen oder nach neuen, noch verleiherlosen Filmen zu fahnden.
Die Festivals sind für die beiden eine Art Urlaubsersatz. Für einen „richtigen“ Urlaub bleibt keine Zeit. Dass die Vielarbeiterei – „achtzig Stunden in der Woche“, hat Wulf Sörgel errechnet – ein beliebtes Neue-Mitte-Klischee ist, mit dem das schöne Faulenzen diskreditiert werden soll, wissen sie wohl. Sie sind aber fern davon, als Helden der Arbeit glänzen zu wollen. Vor allem macht ihnen ihr Job Spaß, zumal immer wieder auch schöne Dinge passieren.
Als sie zum Beispiel „Express, Express“ betreuten, einen romantischen Liebesfilm aus Slowenien, der mit 20.000 Zuschauern zu ihrem ersten Erfolg wurde, trafen sie einen romantischen Mann, der den Film 13 Mal gesehen hatte. „Der fuhr sogar nach Wünsdorf und ging da lange an einsamen Gleisen spazieren und hörte dabei den Soundtrack des Films, um so dessen Atmosphäre besser nachzuempfinden.“ Das freut das Herz des Filmverleihers.
In der kommenden Woche bringen die ausgezeichneten Verleiher den „Flug der Biene“ in den Kinos. Der erzählt von einem Dorflehrer in Tadschikistan, der sich gegen die Machenschaften des Dorfreichen und des Bürgermeisters durchsetzt. „Ein Dickkopf“, sagt Torsten Frehse, „einer der sich nicht unterkriegen lässt“. Eben einer wie Torsten Frehse.
Zitat;„Ein junger Verleih, der mit hohem Risiko und ohne jegliche Förderung den Kinos ein ausgezeichnetes Programm offeriert“
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