: Grand ohne vier oder Null ouvert
Beim Zocken um die Macht werden in Berlin derzeit die Karten neu gemischt. Schon liebäugelt Rot mit Rot. Schwarz will bei Grün kiebitzen. Alle Parteien reizen schon mal kräftig drauflos. Dabei sind die entscheidenden Trümpfe noch gar nicht im Spiel
von SABINE AM ORDE
In der Berliner Landespolitik werden derzeit die Karten neu gemischt. Nachdem der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) in der vergangenen Woche die PDS-Karte auf den Tisch geknallt hat, sind jetzt die Christdemokraten am Spiel. Und die lassen sich nicht zweimal bitten. Schon reizt CDU-Generalsekretär Ingo Schmitt mit einer ganz besonderen Farbe: mit Grün.
Schmitt, bislang eher althergebrachter Spielertyp, will in den nächsten Tagen die Asse der Bündnisgrünen an den Tisch bitten. Weitere, regelmäßige Treffen sollen alle sechs bis acht Wochen folgen. Von der ersten Zusammenkunft der schwarz-grünen Runde hat Schmitt bereits konkrete Vorstellungen: „Es sollte aber nicht die alte Garde sein, die sich seit 20 Jahren kennt“, eröffnete er der Zeitung Die Welt. Einen Wunschspieler im gegnerischen Team hat Schmitt, der böse Bube, bereits: den grünen Haushaltexperten Burkhard Müller-Schoenau.
Die Grünen, jeglichem Glücksspiel bislang abgeneigt, sind zwar bereit, den Gang ins verräucherte Hinterzimmer anzutreten, bezweifeln aber die Ernsthaftigkeit von Schmitts Einladung. „Er hat nicht den Rückhalt seiner Partei“, sagte die grüne Landeschefin Regina Michalik. Außerdem werde man sich von der CDU nicht die Spielregeln diktieren lassen: „Wenn wir eine offizielle Einladung haben, werden wir entscheiden, wer hingeht und worüber wir reden wollen.“
Ihrer Ansicht nach ist Schmitts Vorstoß nur eine Reaktion auf die schlechten Karten des Senats. „Die große Koalition ist extrem unter Druck.“ Die macht nämlich nicht nur keine Stiche mehr, sondern wird auch von den Kiebitzen nicht mehr gewünscht: Fast zwei Drittel der BerlinerInnen sind unzufrieden mit der Landesregierung.
Da wird es höchste Zeit, die Karten neu zu mischen. Im neuen Großbezirk Mitte haben sich bereits Schwarz und Grün, in Pankow/Prenzlauer Berg/Weißensee PDS und SPD zusammengetan. In Kreuzberg/Friedrichshain soll mit Hilfe von SPD und Grünen die derzeitige Hohenschönhauser Bezirksbürgermeisterin, die Herzdame Bärbel Grygier, zur ersten Rathauschefin der PDS in einem Westbezirk werden.
Für Herzkönig Walter Momper, wegen seines Rendezvous mit der PDS-Landeschefin Petra Pau im Rampenlicht der Öffentlichkeit, sind die kommunalen Zockerrunden „Testläufe“ für die Landespolitik. Zwar sei die PDS auf Landesebene derzeit noch nicht koalitionsfähig, doch ein Normalisierungsprozess zwischen beiden Parteien habe längst begonnen. „Das Eis ist gebrochen“, so Momper. Doch bis zur Wahl 2004 kann noch reichlich gezockt werden. Und die PDS hat noch einen Trumpf im Ärmel: Gregor Gysi als möglichen Spitzenkandidaten.
Die SPD-Bundesebene will allerdings auch mitmischen. Familienministerin Christine Bergmann hält Mompers Eisbruch für ein abgekartetes Spiel, und auch CDU-Chefin Angela Merkel äußerte sich empört über die rot-rote Annäherung. Alles also nur ein Kartenhaus?
Ein Zusammenspiel mit der PDS aber ist für die Sozialdemokraten mittelfristig die einzige Chance, im Spiel zu bleiben. Denn anders als bei der CDU, die mit Finanzsenator Peter Kurth, Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner und Kulturexpertin Monika Grütters ein neues Blatt ins Spiel bringt, haben die Sozialdemokraten keine Trümpfe in der Hand. Allein mit den Grünen aber können sie nicht genug Stiche nach Hause bringen. Und auch Kreuzkönig Müller-Schoenau könnte sich beim Flirt mit Ingo Schmitt überreizen. Oder glaubt er wirklich, bei Schwarz-Grün noch genügend Wähler in der Hinterhand zu haben?
Einen aber lässt das ganze Zocken kalt. Eberhard Diepgen kloppt sein Blatt lieber in gewohnter Runde. „Ich sehe bei den Berliner Grünen in den letzten Jahren keinen Wandel in Richtung moderner Politikansätze, wie es sie in anderen Landesverbänden gibt.“ Doch beim Skat kann sich das Blatt schnell wenden. Kreuzkönig Diepgen muss aufpassen, dass das Spiel nicht an ihm vorbeiläuft.
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