„Dumpfe, provokative Gewalt“

Im Prozess um Guben-Hetzjagd vor dem Landgericht Cottbus beantragt die Staatsanwaltschaft mehrjährige Jugendstrafen sowie Bewährungsstrafen. „Der Todeserfolg war vorhersehbar“, sagt der Richter. Am Montag wird die Verhandlung fortgesetzt

aus Cottbus LUKAS WALLRAFF

Fast zwanzig Monate nach der Hetzjagd von Guben hat die Strafkammer des Landgerichts Cottbus gestern Strafanträge gegen die elf Angeklagten gestellt. Für sechs forderte sie Jugendhaftstrafen zwischen eineinhalb und dreieinhalb Jahren, für fünf weitere Bewährungsstrafen.

In seinem Plädoyer forderte Staatsanwalt Andreas Richter das Gericht auf, die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu verurteilen. Ihnen wird vorgeworfen, in der Nacht zum 13. Februar 1999 den 28-jährigen Farid Guendoul zu Tode gehetzt zu haben. Der Algerier, der in Deutschland unter dem Namen Omar Ben Noui um Asyl gebeten hatte, war dabei in Panik durch eine Glastür gesprungen und an seinen Verletzungen verblutet. Sein tragischer Tod hatte bundesweit Aufsehen und Empörung hervorgerufen. Die Angeklagten müssen sich jedoch nicht nur wegen der Hetzjagd auf Guendoul verantworten, sondern auch wegen weiterer 1998 und 1999 begangener Straftaten.

Die Hetzjagd bezeichnete Staatsanwalt Andreas Richter gestern als einen Akt „von dumpfer, provokativer Gewalt, Ausländerfeindlichkeit und diffuser Selbstjustiz“, den man weder tolerieren noch bagatellisieren dürfe. Durch Teilgeständnisse und Zeugenaussagen sei erwiesen, dass alle Angeklagten, die heute zwischen 18 und 20 Jahre alt sind, wissentlich an der Verfolgungsjagd teilnahmen. „Alle haben mitgemacht“, sagte Richter, „und zwar aus freien Stücken.“ Unabhängig von ihrem individuell unterschiedlichen Verhalten sei „das Handeln der Angeklagten insgesamt Ursache dafür, dass ein Mensch sterben musste“. Alle Beteiligten hätten erkennen müssen, so der Staatsanwalt, dass sich der Verfolgte in Gefahr bringen könnte. „Der Todeserfolg war vorhersehbar.“

Mit unzähligen Befangenheitsanträgen war es den Verteidigern gelungen, das Verfahren immer wieder hinauszuzögern. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte die überlange Verfahrensdauer im Frühjahr als „Skandal“ bezeichnet. Auch gestern, am 75. Verhandlungstag, sah es zunächst nicht so aus, als ob die Beweisaufnahme abgeschlossen werden könnte. Der Anwalt des Angeklagten Daniel R. forderte erneut, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Sein Mandant leide unter Schlafstörungen und könne der Verhandlung deshalb nur eingeschränkt folgen. Dem Gericht sei dies möglicherweise nicht aufgefallen, weil Daniel R. wegen der „Sitzkonstellation“ im Gerichtssaal in zehn Meter Entfernung sitze. Eine Anwältin der Nebenklage, die ihm direkt gegenübersitzt, beschrieb den angeblich Schlafgestörten dagegen als einen „der Wachesten“. Das Gericht wies den Antrag denn auch als unzulässig zurück.

Anschließend verlas der Angeklagte Steffen H. – der durch den ehemaligen Wiking-Jugend-Führer Nahrath vertreten wird – eine persönliche Erklärung. Er räumte ein, dass er bei der Verfolgungsjagd dabei gewesen sei. Vorausgegangen sei der Hetzjagd durch die Plattenbausiedlung ein Streit mit Vietnamesen und einem „Neger“ in einer Gubener Disko, bei dem er selbst verletzt worden sei. „Irgendwann hieß es, jetzt den Neger suchen“, sagte H. Dabei sei man dem späteren Opfer Guendoul und zwei weiteren „Ausländern“ begegnet. Als die Angeklagten ihre Autos anhielten, „rannten die Ausländer schon“, behauptet der zum Tatzeitpunkt 17-jährige H. Hinterhergerannt sei er nicht. Erst am nächsten Tag habe er erfahren, dass Guendoul gestorben sei. Wie das passiert sei, darüber habe er sich „keine Gedanken gemacht“. Reue oder gar eine Entschuldigung brachte Steffen H. nicht über die Lippen.

Nur einer der Angeklagten hat ein umfassendes Geständnis abgelegt und sich für seine Tat entschuldigt. Die anderen zeigten sich wenig schuldbewusst. Ein Angeklagter hat sich im vergangenen Sommer sogar an der Schändung des Gedenksteins für Guendoul beteiligt. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.