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Ödipaler Befreiungskampf

Die beste Ami-Rock-Band der Welt kommt aus England: The Clinic spielen im Knaack

Der Bedarf an Wissenswertem über die Beatles scheint unerschöpflich zu sein. In einer gerade neu erschienenen Mega-Anthologie berichten die nach John Lennons Tod übrig gebliebenen Ex-Beatles nochmals über selige Zeiten, wofür auch die deutschen Nachrichtenmagazine von Spiegel bis Focus wieder ein paar Seiten freigeschaufelt haben. Es ist genau diese Beatles-Hysterie, mit der die Band The Clinic aus Liverpool so gar nichts anzufangen weiß. In Liverpool muss man sich diese natürlich noch schlimmer vorstellen als sonst überall auf der Welt. Offizielle Beatles-Revivalbands werden hier wahrscheinlich vom Reiseverkehrsamt bezahlt. Doch The Clinic können auch mit den ganzen inoffiziellen Beatles-Verschnitten von Oasis bis Travis nichts anfangen. Mit Britpop-Euphorie und klassischer beatlesker englischer Songwritertradition möchten sie auf gar keinen Fall in Verbindung gebracht werden.

So haben sie damit begonnen, sich in klassischer Rock-’n’-Roll-Manier gegen den englischen Status quo zu erheben, indem sie diesen mit dem Intimfeind des Britpops bekämpfen: mit amerikanischem Schweinerock. Und wie das so oft bei dem Befreiungskampf aus einer ödipalen Struktur passiert, haben sie dabei total überreagiert. So packen sie Velvet Underground in den Tank, schnappen sich amerikanischen Prä- und Postpunk von Jonathan Richmann bis Suicide und rocken damit so unbritisch, wie es nur geht.

In Amerika selbst sind sie ja auch mit ganz anderem Zeugs beschäftigt. Dort feiert der Breitbein- und MTV-Style-Hardcore von Bands wie Limp Bizkit bis Blink 182 fröhliche Urständ. Ein Tatbestand, bei dem man sich durchaus ernsthafte Sorgen um die Zukunft von Rock machen muss. Somit sind The Clinic doppelt zu begrüßen: als amerikanischste Band Englands und als derzeit beste Ami-Rock-Band der Welt. Allzu ernst nehmen sie sich bei ihrem Mimikry-Overkill glücklicherweise auch nicht. Die Jungs der Band posieren gerne mit Sgt.-Pepper-Anzügen und Chirurgen-Masken und hantieren in ihren Texten mit diversem Voodoo-Kram herum, obwohl sie nach eigenen Aussagen gar keine Ahnung von dieser Form skurriler Magie haben. Hauptsache anders, Hauptsache exotisch, Hauptsache nicht zu ernst alles. Die englische Presse, vorneweg natürlich der NME, liebt The Clinic trotz ihrer unbritischen Umtriebe. Oder vielleicht sogar ausnahmsweise deswegen. Engländer bleiben eben Engländer. Und die Jeansbastler von Levi’s finden kompromisslosen New- und No- Wave-Schweinerock anscheinend auch super. In einer ihrer aktuellen Kampagnen, die ja dafür bekannt sind, für ihre musikalische Untermalung nie die schlechteste Auswahl zu treffen, gibt es ein wenig Rock von The Clinic zu hören.

Nach ihrem Auftritt als Vorgruppe von Radiohead gibt es The Clinic in Berlin nun in full effect und ohne künstlerisch wertvollen Mumpitz, als Headliner und mit Skalpell und Doktor-Kitteln und allem Drum und Dran.

ANDREAS HARTMANN

Heute Abend, 21 Uhr, Knaack-Club, Greifswalderstr. 221

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