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Und hoch die Stäbchen

Fokus auf das neue Asien: Neue englischsprachige Kulturmagazine in Hongkong und Singapur wenden sich via Literatur oder Lifestyle an den ideellen „asiatischen Weltbürger“. Ein Publikum scheint sich zu finden – auch wenn der Wille zur Grenzüberschreitung schon mal mit der Zensur zusammenstößt

von DANIEL BAX

Wenn Nury Vittachi den gediegenen „Club der Auslandskorrespondenten“ in Hongkong betritt, einen typisch britischen Presseclub mit Bar und Billardtischen, dann wird er von allen Seiten gegrüßt. Der Humorist ist eine Institution in der Stadt. Jede Woche füllt er eine Seite in der Far Eastern Economic Review mit seinen „Traveller’s Tales“: absurden Anekdoten, komischen Kurzmeldungen oder Schnappschüssen, die ihm seine Leser zwischen Indien und Japan, Australien und China zugesteckt haben. Weil sich Vittachi in seiner Kolumne oft über Speisekarten in falschem Englisch oder über seltsame Sitten und kurioses Gebaren in Asien lustig macht, hat ihm ein erboster Leser einmal vorgeworfen, er sei „ein Apologet westlicher Überlegenheit“. „Ich habe mir den Brief über meinen Schreibtisch gehängt“, sagt Vittachi und lächelt amüsiert.

An westliche Überlegenheit glaubt der gebürtige Inder beileibe nicht – darum hat es ihn auch sehr irritiert, als ein westliches Nachrichtenmagazin kürzlich eine Liste der „100 wichtigsten Schriftsteller der Welt“ veröffentlichte. Kein einziger Asiat war darunter, „außer Rushdie und V. S. Naipaul natürlich, aber die sind mindestens ebenso sehr Engländer“, ärgert sich Vittachi. Aus Trotz entschloss er sich, mit ein paar Mitstreitern ein asiatisches Literaturmagazin aus der Taufe zu heben: Es heißt Dim Sum, wie die gleichnamigen Teigtaschen, eine chinesische Spezialität. Der ersten Ausgabe ging ein Manifest voraus, es findet sich auf der Dim-Sum-Website und trägt den kämpferischen Titel: „Hoch die Stäbchen!“

Kulinarische Metaphern, wenn es eigentlich um Kultur geht, liegen nicht nur in Asien allzu nahe. Wörtlich übersetzt bedeutet Dim Sum „kleine Dinge, die das Herz berühren“, und das hält Vittachi für ein passendes Motiv für sein Magazin, das ja auch aus literarischen Appetithäppchen in Form von Kurzgeschichten besteht. Damit die Leser anbeißen, ziert jede Ausgabe mindestens ein prominenter Autor, wie etwa die japanische Pop-Autorin Banana Yashimoto oder jüngst der indische Literat Romesh Gunasekera. Doch die meisten Texte steuern absolute Nobodys bei. Die Manuskripte kommen gewöhnlich per E-Mail, und praktischerweise veranstaltet das Dim-Sum-Team auch Schreib-Workshops im Internet, deren Teilnehmer dann eine Vorauswahl unter den eingesandten Short Storys treffen. „Unser Büro ist im Cyberspace“, scherzt Vittachi. Er ist überzeugt, dass „irgendwo in Asien der neue John Grisham, der nächste Shakespeare“ steckt, und dass es in Asien nicht an Talenten, sondern bislang vor allem an einer förderlichen Infrastruktur fehlt. „Bis vor kurzem war Literatur in Asien ein Hobby der Reichen“, sagt Vittachi. Aber dank des wirtschaftlichen Aufschwungs sei eine neue Mittelklasse entstanden, mit Zeit und Muße für die Künste. Der will Dim Sum nun Inspiration und Medium sein.

Damit steht das Heft allerdings längst nicht mehr allein in den Zeitschriftenregalen von Hongkong. Auch east, ein neues Kulturmagazin aus Singapur, zielt auf das gleiche Publikum. Anders als die internationalen Nachrichtenmagazine und Wirtschaftszeitungen wie Time Asia, Asiaweek oder des Asian Wall Street Journal, die den panasiatischen Pressemarkt dominieren, aber trotz ihrer Verlagsfilialen in Asien oft dem westlichen Blickwinkel verpflichtet bleiben, lenkt east den Fokus auf asiatische Kultur. Dabei landen die Macher aber schnell beim kleinsten gemeinsamen Nenner ihrer über die Metropolen des Kontinents verstreuten Leserschaft, dem Lifestyle. „Asiatischer Lifestyle“, das könne „ein Möbelstück aus Bali oder ein Anzug von Kenzo“ sein, doziert Low Yuen Ping, der Chefredakteur des Hefts, in seinem verkramten Redaktionsbüro im kolonialen Altbauviertel Singapurs.

Sein Magazin east bietet Konsum- und Lifestyle-Beratung für asiatische Yuppies, aber auch anspruchsvolle Reisereportagen aus Thailand oder Kambodscha, die politische und soziale Aspekte nicht auslassen. „Viele halten east deswegen für ein Reisemagazin“, grinst Low Yuen Ping fast ein wenig entschuldigend. „Deswegen wollen wir in Zukunft noch mehr in die Tiefe gehen, provokanter werden.“ Bisher berichtet east außerdem ausführlich über Musik und Film – und bemüht sich dabei, wie der Titel nahe legt, um eine dezidiert östliche Perspektive. „Hollywood ist nicht unser Dreh- und Angelpunkt, wenn es um Film geht“, erläutert Low Yuen Ping die Blattlinie. Doch das macht es nicht unbedingt einfach, verbindliche Themen zu finden, die Leser in allen Ländern anzusprechen vermögen. Kennt man etwa in Indien Chow Yun Fat, den Superstar des Hongkong-Kinos? Und ist dort wiederum Asha Bosle, die berühmte Bollywood-Sängerin, ein Begriff? Low Yuen Ping zuckt die Schultern. Die April-Ausgabe mit der Schauspielerin Gong Li auf dem Cover war jedenfalls die bestverkaufte in der jungen Geschichte der Zeitschrift.

Seit Februar ist der east-Verlag nun Teil eines neuen Start-up-Unternehmens namens „east. com“, das übers Internet Lifestyle-Accessoires vertickt: Antikes aus Thailand, Handgefertigtes aus Indonesien oder Hotelbuchungen für Luxus-Resorts. Und um die Synergien auf die Spitze zu treiben, soll von Singapur aus im nächsten Jahr zusätzlich ein eigenes Fernsehprogramm auf Sendung gehen, per Satellit für die ganze Region: „east TV“.

Von solchen Plänen kann man in Hongkong, in der Redaktionsstube eines dritten neuen Magazins, nur träumen. Dort wird alle paar Monate an einer kleinen Zeitschrift gebastelt, die den lustigen Namen Tofu trägt. Das Heft siedelt in der Grauzone von Mainstream und Underground und bewegt sich irgendwo zwischen Fanzine und Kunst-Magazin – und hat deshalb Schwierigkeiten, im ultrakommerziellen Umfeld Hongkongs überhaupt Anzeigenkunden zu finden.

Hinter dem Heft steht ein Franzose: Benoît Dupuis, ein Künstler, der vor Jahren nach Hongkong kam, um dort im Auftrag chinesischer Tycoons deren Villen zu dekorieren. Gelangweilt von seinem Job, gründete er mit Tofu eine Zeitschrift, die Asien zeitgemäß reflektieren will. „Ich dachte, das ist kreativer, als irgendwelche Spiegel im Stil des 18. Jahrhunderts zu bemalen“, sagt Benoît leicht indigniert.

Tofu, sein „transkulturelles Magazin“, erhält Lob von berufener Seite – der Avantgarde-Künstler Danny Yung, der in Berlin kürzlich das „Festival of Visons“ kuratierte, nennt Tofu vorbildlich – doch bis jetzt ist Tofu ein absoluter Außenseiter in der asiatischen Medienkapitale Hongkong geblieben. „Ich würde gerne engere Bande mit der lokalen Szene knüpfen“, sagt Benoît. Allein, es mangele an pointierten Schreibern. Vielen fehle es an Selbstbewusstsein – eine Folge des kolonialen Erbes, glaubt Benoît Dupuis – und manchen an Sicherheit, in englischer Sprache zu schreiben. So sind es vorwiegend westliche Journalisten, die in Asien arbeiten, die Benoît für Tofu gewinnen konnte: der Reuters-Korrespondent in Peking steuerte zur letzten Ausgabe eine Pop-Kolumne bei, und der amerikanische Spezialist der South China Morning Post schrieb einen Artikel über den frühen Hongkong-Film. Gerade diese Vielfalt der Blicke und Schreibweisen aber macht Tofu zur faszinierenden Lektüre.

Der neue Typ panasiatischer Kulturmagazine, den Tofu, Dim Sum oder east verkörpern, zielt auf Avantgardisten, die sich über den jeweiligen nationalen Tellerrand hinaus orientieren, auf den ideellen asiatischen Weltbürger also. Der kann überall zu Hause sein – nicht nur in Asien, sondern überall auf dem Globus, weswegen sich die Herausgeber aller drei Magazine bemühen, sich auch für Europa, Australien und die USA Vertriebswege zu eröffnen. Dort lebt schließlich ein potenzielles Zielpublikum, das sich gerade in der Diaspora weit eher als diffus „asiatisch“ begreift, als dies in der Herkunftsregion der Fall ist, wo man sich oftmals viel konkreter als Vietnamese oder Chinese definiert. Glaubt man den Leserbriefen, die sich in der letzten Tofu-Ausgabe finden, dann können sich gerade Asiaten in den USA in der Zeitschrift wiederfinden: „Dies ist genau die Sorte von Magazin, das ich die ganze Zeit gesucht habe“, schreibt da ein vietnamesischer Student aus den USA, und eine Fotografie-Studentin meint, es sei an der Zeit gewesen, „dass sich endlich eine Publikation an diese neue Bevölkerungsgruppe richtet“, an die zweite Generation der eingewanderten Asiaten in den USA. Dass sich auch viele westliche Expats, Angehörige der großen Gemeinde der in Asien lebenden Westler, durch das Konzept von east oder Tofu angesprochen fühlen, stört die Macher nicht, im Gegenteil: Bikulturalität sei schließlich keine Frage der Herkunft, sondern der Einstellung, betont Benoît Dupuis.

Allerdings stößt der Wille zur Grenzüberschreitung in Asien selbst manchmal auf Hindernisse, die in den politischen Realitäten der Region begründet liegen. Die publizistische Beschäftigung mit bestimmten Seiten des modernen Asiens, mit Homosexualität und Prostitution etwa, wird schließlich nicht überall gerne gesehen. So wurde die erste Tofu-Ausgabe gleich von den Zensurbehörden in Singapur kassiert: zu viel nackte Haut.

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