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Die Ehre des Doktor Ibrahim

Der Kinderarzt Jussuf Ibrahim galt in Jena lange als Wohltäter. Bis man sein eindeutiges Eintreten für Euthanasie in der NS-Zeit dokumentierte. Heute entscheidet der Jenaer Stadtrat, ob er dem Arzt die Ehrenbürgerwürde aberkennt. Und tut sich schwer

aus Jena KATRIN ZEISS

Der Jenaer Stadtrat steht vor einer Zerreißprobe. Heute will er über eine Ehrenbürgerschaft entscheiden, die seit dem Frühjahr aufs Äußerste umstritten ist. Es geht um Jussuf Ibrahim, den bekannten Jenaer Kinderarzt, der bis zu seinem Tod 1953 die Universitäts-Kinderklinik leitete und den Lehrstuhl Kinderheilkunde inne hatte.

Sein Ruf in Jena ist legendär. Der Arzt etablierte die Kinderheilkunde, ein damals noch junges medizinisches Fach, an der Universität. Er sorgte dafür, dass Krankenschwestern, die sich um die Pflege von Kleinkindern kümmerten, eine spezielle Ausbildung erhielten – noch heute sind die Jenaer „Ibrahim-Schwestern“ stolz darauf.

Doch die Legende Ibrahim stimmt längst nicht mehr: Ibrahim hat während des „Euthanasie“-Programms der Nazis behinderte Kinder in den Tod geschickt. Eindeutig nachgewiesen haben das Jenaer Wissenschaftler in diesem Frühjahr. Sie fanden Dokumente, in denen der Arzt handschriftlich Euthanasie für behinderte Kinder forderte. Ibrahim ist seit 1947 Ehrenbürger der Stadt. Noch immer. Ibrahim hatte Gönner in allen Systemen. Zu DDR-Zeiten dekorierte man ihn als „Verdienter Arzt des Volkes“ und Nationalpreisträger. Eine Diktatur früher heftete man ihm das Nazi-Kriegsverdienstkreuz an.

Ibrahim sei allenfalls „eine Fallstudie für das opportunistische Mitgehen eines Mediziners mit dem vermeintlichen Zeitgeist – aber kein Vorbild für eine Stadt“, meint das Olaf Breidbach, Direktor des Uni-Institutes für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik. Breidbach war Mitglied jener Kommission, die den Beweis für Ibrahims Beteiligung an Nazimorden erbrachte. Doch die Wissenschaftler haben es schwer gegen die Front der Relativierer. Breidbach musste sich in einem offenen Brief eines CDU-Stadtrates gar vorwerfen lassen, als jemand, der erst vor einigen Jahren von West nach Ost gekommen sei, habe er sich kein Urteil über Ibrahim anzumaßen.

Andere CDU-Stadträte stellen „Euthanasie“-Morde auf eine Stufe mit Abtreibungen. Kein Geringerer als der Präsident der Thüringer Ärztekammer, Eggert Beleites, belieferte diese Lobby mit Argumenten. Er schrieb im Mai im Thüringer Ärzteblatt: „Wie wir alle wissen, waren gerade Ärzte aufgrund des rassehygienisch-eugenischen Programms in der NS-Zeit eine besonders gefährdete Gruppe.“ Dies könne „auch dazu geführt haben, dass viele Ärzte, auch wenn sie nur ihre Pflicht taten ... in nationalsozialistische Vergehen involviert“ waren.

Pikanterweise schrieb Beleites damit gegen den in seiner Verantwortung als Präsident herausgegebenen Band der Landesärztekammer „Die Ärzteschaft in Thüringen“ an. Für das jetzt erschienene Buch hatte er im Januar das Vorwort verfasst. Der Inhalt des Buches dürfte ihm also bekannt gewesen sein. Dort ist von „außergewöhnlich große(r) Sympathie vieler Ärzte für den Nationalsozialismus“ die Rede: 46,4 Prozent der Thüringer Ärzte seien NSDAP-Mitglieder gewesen, deutschlandweit waren es 45 Prozent.

Bisher scheiterte in Jena jeder Versuch, Ibrahim zu entglorifizieren. Einmal zog Oberbürgermeister Peter Röhlinger (FDP) seinen eigenen Vorschlag zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde zurück, dann standen OB-Wahlen oder Sommerpause vor der Tür. Für Marco Schrul, Fraktionsmitglied der Grünen, ist die Taktik klar: „Die wollen das Thema so lange aussitzen, bis es vergessen wird.“ Der Hauptausschuss formuliert es sanft – er will Ibrahim nicht mehr als Ehrenbürger betrachten, dies soll an der Ehrenbürgerliste vermerkt werden. Die CDU möchte die Ehrenbürgerschaft überhaupt nicht antasten. Kommt es so weit, dann ist Jenas Ruf perdu, menetekelt Ernst Klee, Publizist und anerkannter Euthanasie-Forscher: „Dann ist das das offizielle Bekenntnis einer Stadt zu einem Mann, der behinderte Kinder töten lassen wollte.“

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